Der Sachverhalt
Ende März 2008 zog sich ein 82-Jähriger infolge eines Sturzes eine mediale Schenkelhalsfraktur am rechten Bein zu. Daraufhin wurde der Mann zur stationären Behandlung in die Klinik des Beklagten aufgenommen. Nach Abschluss der operativen Versorgung wurde der Patient zunächst in ein Dreibettzimmer untergebracht, später erfolgte die Verlegung in ein Einzelzimmer.
An zwei aufeinander folgenden Tagen im April 2008 stürzte der Patient, der unter anderem auch an Parkinson sowie Diabetes mellitus Typ 2 erkrankt ist, in seinem Zimmer im Zustand der Verwirrtheit.
Klageabweisung vor dem Landgericht
Aufgrund der beiden Stürze klagte der Patient vor dem Landgericht Mühlhausen gegenüber dem Krankenhaus auf Zahlung von Schadenersatz (12.455,03 Euro) und Schmerzensgeld (mindestens 2.000 Euro).
Nach seiner Auffassung hätte das Klinikpersonal zusätzliche Sicherungsmaßnahmen ergreifen müssen, da er unter anderem aufgrund seiner Vorerkrankungen besonders sturzgefährdet sei. Das Landgericht kam zu einer gegenteiligen Feststellung und wies die Klage ab (Landgericht Mühlhausen vom 25. Mai 2011 – 3 O 796/09): Die latente Sturzgefahr rechtfertige keine freiheitsentziehende Maßnahme, so das Gericht.
Keine Pflichtverletzung seitens des Klinikträgers
In der Berufungsverhandlung vor dem Thüringer Oberlandesgericht (Urteil vom 5. Juni 2012 – 4 U 488/11) wurde die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt: Danach habe das Krankenhaus weder seine dienstvertragliche Obhutspflicht, noch die aus § 823 Absatz 1 BGB folgende (inhaltsgleiche) Pflicht zum Schutze der körperlichen Unversehrtheit des Klägers verletzt.
Denn Umfang und Ausmaß dieser Pflicht hänge vom Einzelfall ab, das heisst vom Gesundheitszustand des Patienten, so die Jenaer Richter. Im konkreten Fall habe es keine Anzeichen für eine akute Sturzgefahr gegeben.
Im Zeitraum vor dem 1. Sturz verliefen die ärztlich verordneten Mobilisierungsversuche der Physiotherapie komplikationslos, sodass von einer akuten Gefahrenlage, die weitergehende Sicherungsmaßnahmen verlangt hätte, nicht auszugehen war.
Zwar implizierte der 1. Sturz, dass die Beklagte nunmehr auf eine situative Sturzgefahr angemessen reagieren musste; dies bedeute aber nicht, dass nunmehr die lückenlose Überwachung und Fixierung des Klägers gefordert war.
Maßstab sei auch insoweit das für den Patienten Erforderliche sowie das für Patient und Personal Zumutbare. Denn der Klinikträger schulde die Erbringung seiner ärztlichen und pflegerischen Leistung auch unter Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse des Patienten vor vermeidbaren Beeinträchtigungen und Belastungen, die eventuelle Sicherungsmaßnahmen mit sich brächten und die der Förderung der Selbständigkeit und der Mobilität des Patienten widersprächen.
Latente Sturzgefahr nicht ausreichend
Ausweislich der Pflegedokumentation bestand auch in der Zeit zwischen dem 1. und dem 2. Sturz, der sich zur Nachtzeit (22:30 Uhr) ereignete, keine konkrete Gefahrenlage, da beim Kläger Anzeichen für einen permanenten Zustand hoher unmittelbar bevorstehender Selbstgefährdung nicht vorlagen.
Insofern wäre das rein prophylaktische nächtliche Aufziehen eines Bettgitters zur Verhinderung einer bis dahin durch die Vorerkrankungen (Diabetes, Parkinson, Verwirrtheit) lediglich latent vorhandenen Sturzneigung des Patienten als freiheitsentziehende Maßnahme nicht gerechtfertigt gewesen.
Quelle: OLG Thüringen vom 5. Juni 2012 – 4 U 488/11 = RDG 2012, S. 238 ff.