Parallel zum steigenden Personalnotstand wächst im Pflegesektor die Bedeutung von Leiharbeit (Zeitarbeit). Immer mehr beruflich Pflegende entscheiden sich für diese attraktive Alternative und wechseln zu sogenannten Leasingfirmen. Denn die Anbieter werben mit deutlich mehr Lohn und flexibleren Arbeitszeiten.
Bereits zwischen 2013 und 2020 hat sich die Zahl der Leasingkräfte mehr als verdoppelt, wie eine Studie der Ruhr-Universität Bochum zeigt. Dieser Trend setzt sich aktuell weiter fort, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete.
Das ist wenig überraschend, denn die Firmen werben mit einem Bruttolohn von mitunter über 5.000 Euro, einer 35-Stunden-Woche sowie von arbeitnehmerinnen-/arbeitnehmerfreundliche Optionen, wie zum Beispiel den Verzicht auf Nachtdienste. Gleichzeitig sind die Kliniken und die Pflegeeinrichtungen durch den Mangel an ausgebildeten Pflegefachkräften immer stärker auf den Einsatz von Leasingkräften angewiesen, um den Betrieb und die Versorgung der Patientinnen und Patienten aufrechthalten zu können.
Die berufliche Umorientierung der Pflegekräfte zu einer angemessenen Bezahlung und ausreichender Selbstfürsorge hat zwei fatale Folgen: Einerseits kennt das Personal die Bewohnerinnen und Bewohner respektive die Patientinnen und Patienten in den Einrichtungen immer weniger – was die Arbeit erschwert und den Beziehungsaufbau nahezu vollständig verhindert. Dies unterstreicht auch Marc Schreiner, Geschäftsführer der Berliner Krankenhausgesellschaft und betont weiter, dass dadurch „die Patientensicherheit beeinträchtigt wird“.
Andererseits kann die Arbeit mit Leasingkräften keine dauerhafte Lösung darstellen. Denn die Mehrkosten der Leiharbeit werden an die Pflegekassen und damit an die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler – also an uns – weitergegeben. Laut der Berliner Krankenhausgesellschaft kostet eine Leasingkraft in der Bundeshauptstadt inzwischen das zwei- bis zweieinhalbfache einer nach Tarif bezahlten Pflegekraft.
Leiharbeit: Symptombehandlung durch die Politik
Anstatt nun den Kern des Problems anzugehen und die Tariflöhne deutlich anzuheben, scheint sich die Politik einmal mehr der Symptombekämpfung zu verschreiben: Die Leiharbeit in der Pflegebranche soll durch eine Kostengrenze eingeschränkt werden, sodass die Mehrkosten der Leasingkräfte nicht mehr an die Pflegekassen weitergegeben werden können, sondern durch die Einrichtungen selbst getragen werden. Dies geht aus einem Gesetzentwurf zur Pflegereform vor, den das Redaktionsnetzwerk Deutschland kürzlich veröffentlichte.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft zieht in einem Positionspapier hingegen sogar ein Verbot für Leiharbeit in der Pflege als letzten Ausweg in Erwägung.
Beide Optionen würden den Notstand in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen verschärfen, denn wo kein Personal nachgeordert werden kann, wo es schlichtweg fehlt, entstehen noch größere Lücken und eine noch höhere Belastung für die verbleibenden Pflegerinnen und Pfleger. Außerdem wird auf die eine, wie auch auf die andere Weise der Druck auf die Pflegeeinrichtungen genommen, für eine angemessene BEntlohnung des festangestellten Personals zu sorgen.
Es besteht Handlungsbedarf
Natürlich kann die Solidargemeinschaft die explodierenden Personalkosten durch Leasingfirmen nicht dauerhaft tragen und es besteht ein dringender Handlungsbedarf. Am extremen Ausmaß des Wachsens der Zeitarbeitsfirmen wird aber in erster Linie offensichtlich, wie sehr wir auf eine Umgestaltung der Löhne im Pflegebereich angewiesen sind. Wenn auf den Stationen und in den Heimen ein angemessener Lohn gezahlt wird und sich die Pflegekräfte auf eine planbare Freizeit freuen können, wird sich kaum noch eine Pflegeperson für die Zeitarbeit entscheiden.
Statt dieses Ungleichgewicht und dessen Ursachen anzuerkennen, wird vermehrt ein „Unmut beim Stammpersonal“ gegenüber den Leasingkräften heraufbeschworen, wie zuletzt von der Berliner Krankenhausgesellschaft: Diese empfiehlt ihren Mitgliedern deshalb nun, einen „Musterrahmenvertrag zwischen Zeitarbeitsfirmen und Krankenhäusern“ zu nutzen. Eine solche Einigung zwischen zwei Arbeitgebern verfügt über die Pflegenden und schließt diese einmal mehr vom Entscheidungsprozess aus.
Pflege müsste sich einmischen
Der einzige Weg für die beruflich Pflegenden, etwas an der aktuellen Situation zu ändern, scheint darin zu bestehen, sich in den Diskurs einzumischen und weitere Entscheidungen über die eigenen Köpfe hinweg nicht mehr zu tolerieren. Eine starke Gewerkschaft für die Pflege könnte daran etwas ändern. Im beruflichen Alltag bleibt das Wichtigste, sich nicht von toxischen Strukturen spalten zu lassen und gemeinsam für echte Verbesserungen zu kämpfen.