Leiharbeit in der Pflege
In vielen Pflege-Kasacks stecken heute Leihar­beits­kräfte. Bild: Photo 83811703 © Sandor Kacso – Dreamstime.com

Paral­lel zum steigen­den Perso­nal­not­stand wächst im Pflege­sek­tor die Bedeu­tung von Leihar­beit (Zeitar­beit). Immer mehr beruf­lich Pflegende entschei­den sich für diese attrak­tive Alter­na­tive und wechseln zu sogenann­ten Leasing­fir­men. Denn die Anbie­ter werben mit deutlich mehr Lohn und flexi­ble­ren Arbeits­zei­ten.

Bereits zwischen 2013 und 2020 hat sich die Zahl der Leasing­kräfte mehr als verdop­pelt, wie eine Studie der Ruhr-Univer­si­tät Bochum zeigt. Dieser Trend setzt sich aktuell weiter fort, wie die Süddeut­sche Zeitung berich­tete.

Das ist wenig überra­schend, denn die Firmen werben mit einem Brutto­lohn von mitun­ter über 5.000 Euro, einer 35-Stunden-Woche sowie von arbeit­neh­me­rin­nen-/arbeit­neh­mer­freund­li­che Optio­nen, wie zum Beispiel den Verzicht auf Nacht­dienste. Gleich­zei­tig sind die Klini­ken und die Pflege­ein­rich­tun­gen durch den Mangel an ausge­bil­de­ten Pflege­fach­kräf­ten immer stärker auf den Einsatz von Leasing­kräf­ten angewie­sen, um den Betrieb und die Versor­gung der Patien­tin­nen und Patien­ten aufrecht­hal­ten zu können.

Die beruf­li­che Umori­en­tie­rung der Pflege­kräfte zu einer angemes­se­nen Bezah­lung und ausrei­chen­der Selbst­für­sorge hat zwei fatale Folgen: Einer­seits kennt das Perso­nal die Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner respek­tive die Patien­tin­nen und Patien­ten in den Einrich­tun­gen immer weniger – was die Arbeit erschwert und den Bezie­hungs­auf­bau nahezu vollstän­dig verhin­dert. Dies unter­streicht auch Marc Schrei­ner, Geschäfts­füh­rer der Berli­ner Kranken­haus­ge­sell­schaft und betont weiter, dass dadurch „die Patien­ten­si­cher­heit beein­träch­tigt wird“.

Anderer­seits kann die Arbeit mit Leasing­kräf­ten keine dauer­hafte Lösung darstel­len. Denn die Mehrkos­ten der Leihar­beit werden an die Pflege­kas­sen und damit an die Steuer­zah­le­rin­nen und Steuer­zah­ler – also an uns – weiter­ge­ge­ben. Laut der Berli­ner Kranken­haus­ge­sell­schaft kostet eine Leasing­kraft in der Bundes­haupt­stadt inzwi­schen das zwei- bis zweiein­halb­fa­che einer nach Tarif bezahl­ten Pflege­kraft.

Leihar­beit: Symptom­be­hand­lung durch die Politik

Anstatt nun den Kern des Problems anzuge­hen und die Tarif­löhne deutlich anzuhe­ben, scheint sich die Politik einmal mehr der Symptom­be­kämp­fung zu verschrei­ben: Die Leihar­beit in der Pflege­bran­che soll durch eine Kosten­grenze einge­schränkt werden, sodass die Mehrkos­ten der Leasing­kräfte nicht mehr an die Pflege­kas­sen weiter­ge­ge­ben werden können, sondern durch die Einrich­tun­gen selbst getra­gen werden. Dies geht aus einem Gesetz­ent­wurf zur Pflege­re­form vor, den das Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land kürzlich veröf­fent­lichte.

Die Deutsche Kranken­haus­ge­sell­schaft zieht in einem Positi­ons­pa­pier hinge­gen sogar ein Verbot für Leihar­beit in der Pflege als letzten Ausweg in Erwägung.

Beide Optio­nen würden den Notstand in Kranken­häu­sern und Pflege­ein­rich­tun­gen verschär­fen, denn wo kein Perso­nal nachge­or­dert werden kann, wo es schlicht­weg fehlt, entste­hen noch größere Lücken und eine noch höhere Belas­tung für die verblei­ben­den Pflege­rin­nen und Pfleger. Außer­dem wird auf die eine, wie auch auf die andere Weise der Druck auf die Pflege­ein­rich­tun­gen genom­men, für eine angemes­sene BEntloh­nung des festan­ge­stell­ten Perso­nals zu sorgen.

Es besteht Handlungs­be­darf

Natür­lich kann die Solidar­ge­mein­schaft die explo­die­ren­den Perso­nal­kos­ten durch Leasing­fir­men nicht dauer­haft tragen und es besteht ein dringen­der Handlungs­be­darf. Am extre­men Ausmaß des Wachsens der Zeitar­beits­fir­men wird aber in erster Linie offen­sicht­lich, wie sehr wir auf eine Umgestal­tung der Löhne im Pflege­be­reich angewie­sen sind. Wenn auf den Statio­nen und in den Heimen ein angemes­se­ner Lohn gezahlt wird und sich die Pflege­kräfte auf eine planbare Freizeit freuen können, wird sich kaum noch eine Pflege­per­son für die Zeitar­beit entschei­den.

Statt dieses Ungleich­ge­wicht und dessen Ursachen anzuer­ken­nen, wird vermehrt ein „Unmut beim Stamm­per­so­nal“ gegen­über den Leasing­kräf­ten herauf­be­schwo­ren, wie zuletzt von der Berli­ner Kranken­haus­ge­sell­schaft: Diese empfiehlt ihren Mitglie­dern deshalb nun, einen „Muster­rah­men­ver­trag zwischen Zeitar­beits­fir­men und Kranken­häu­sern“ zu nutzen. Eine solche Einigung zwischen zwei Arbeit­ge­bern verfügt über die Pflegen­den und schließt diese einmal mehr vom Entschei­dungs­pro­zess aus.

Pflege müsste sich einmi­schen

Der einzige Weg für die beruf­lich Pflegen­den, etwas an der aktuel­len Situa­tion zu ändern, scheint darin zu bestehen, sich in den Diskurs einzu­mi­schen und weitere Entschei­dun­gen über die eigenen Köpfe hinweg nicht mehr zu tolerie­ren. Eine starke Gewerk­schaft für die Pflege könnte daran etwas ändern. Im beruf­li­chen Alltag bleibt das Wichtigste, sich nicht von toxischen Struk­tu­ren spalten zu lassen und gemein­sam für echte Verbes­se­run­gen zu kämpfen.