Die finanzielle Situation bei den Pflegediensten hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten drastisch verschlechtert. Viele Ausgabenbereiche sind für die Betriebe teurer geworden: höhere Benzin- und Heizkosten, höhere Preise für Pflegematerial durch die Inflation sowie steigende Personalkosten durch die seit September geltende Tarifpflicht.
Zu allem Übel wurde zum 1. Juli 2022 der Corona-Rettungsschirm für die Pflege von der Regierung eingestellt, wodurch nun die Kosten für entsprechende Hygienemaßnahme allein von den Pflegediensten geschultert werden müssen.
Das moniert auch der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa). Auf Nachfrage der Rechtsdepesche heißt es von einer Sprecherin: „Die Situation ist für viele Betriebe existenzgefährdend. Es hat bisher keine Hilfen durch den Bund, das Land oder die Krankenkassen für die gestiegenen Energiekosten gegeben. Dies gab es lediglich für die pandemiebedingten Kostensteigerungen über den Pflegerettungsschirm“.
Diese Kosten werden nun nicht mehr übernommen:
- Schutzausrüstung für Mitarbeitende
- Pandemiebedingte Personalausfälle
- Hygieneanforderungen
- Zusätzliche Dokumenationsanforderungen
In Bezug auf die steigenden Energiepreise für Kliniken und Pflegeeinrichtungen verwieß Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bei einer Pressekonferenz am 6. Oktober auf die ohnehin vorhandenen Preisbremsen für Energiekosten. Darüber hinaus gebe es allerdings in bestimmten Bereichen noch Handlungsbedarfe. „Das ist auch in den Pflegeeinrichtungen und den Krankenhäusern der Fall. Dazu haben wir entsprechende Vorschläge vorbereitet“, so Lauterbach. Es gehe dabei vor allem auch um die Frage wie man den Energiemehrkosten begegnen kann. Lauterbach wolle seine Vorschläge kommende Woche mit Bundesfinanzminister Lindner besprechen.
Ambulante und stationäre Pflegedienste gleichermaßen belastet
Gerade die steigenden Spritkosten belasten ambulante Pflegedienste zunehmend. Der bpa vermutet angesichts der Preissteigerungen an den Tankstellen für die nächsten Vergütungsvereinbarungen der ambulanten Pflegedienste mit den Pflegekassen einen Anstieg des Sachkostenanteils von 14,7 Prozent.
Aktuell sei vor allem die Pflege-Versorgung im ländlichen Raum gefährdet, da individuelle Anfahrten zu Patientinnen und Patienten für die Pflegedienste nicht mehr wirtschaftlich seien. Die Sachkostenpauschalen der Pflegekassen würden derartige Anfahrten nicht mehr decken. Vom bpa heißt es dazu weiter: „In Folge ist die Suche nach Pflegediensten für diese Pflegebedürftigen eine Herausforderung, da ein naheliegender Dienst evtl. entweder nicht vorhanden oder bereits ausgelastet ist.“
Monatliche Abschläge steigen von 6.000 auf 40.000 Euro
Immer wieder bekomme der Verband Rückmeldung von Pflegeeinrichtungen – ambulant wie stationär – die mit der erschwerten Lage nicht mehr zurechtkommen. Für einzelne stationäre Einrichtungen würden die monatlichen Abschläge derzeit von gut 6.000 Euro monatlich auf demnächst weit über 40.000 Euro klettern. „Mehrkosten, die von den Kostenträgern nicht übernommen werden wollen. Stattdessen gebe es Tipps, wie die Einrichtungen ihren Energieverbrauch senken können“, so der bpa.
bpa-Präsident Bernd Meurer fordert deshalb unbürokratische Maßnahmen, die es den Pflegeeinrichtungen ermögliche, direkt Energie-Mehrkosten erstattet zu bekommen – ähnlich wie beim Corona-Rettungsschirm. „Die Pflege- und Eingliederungshilfeeinrichtungen müssen höhere Abschläge ihrer Energieversorger direkt bei den Kostenträgern geltend machen können und diese Mehrkosten umgehend erstattet bekommen“, so Meurer.
Er fordert deshalb eine Gesetzesänderung, die die Pflegekassen zwinge, die Energiekosten neu zu vereinbaren. Dies könne am zeiteffizientesten durch Pauschalvereinbarungen erfolgen. Das sei vor allem dann sinnvoll, sollten die Pflegekassen aktuell keine Kapazität für vollumfängliche Neuverhandlungen der Verträge haben.
Pauschale Lösungen nach dem Gießkannenprinzip nicht sinnvoll
Das Gesundheitsministerium NRW verweist indes auf Regelungsmechanismen innerhalb der Pflege und sieht die Verantwortung bei den Verhandlungsparteien der Vergütungsverträge. „Im Rahmen dieser Verhandlungen sollten die Einrichtungen ihre Mehrkosten schlüssig darlegen. Diese können einrichtungsindividuell sehr unterschiedlich sein“, heißt es gegenüber der Rechtsdepesche. Nach Ansicht des Ministeriums seien deshalb pauschale Lösungen nach dem „Gießkannenprinzip“ nicht sinnvoll.
In Nordrhein-Westfalen sieht das Gesundheitsministerium die Infrastruktur der gesundheitlichen Versorgung nicht gefährdet. „Wir gehen nicht von einem Rückgang der Anzahl stationärer Pflegeeinrichtungen aus und erwarten daher auch keine negativen Auswirkungen auf die Versorgung der Pflegebedürftigen“, so ein Sprecher des Ministeriums. Ob die Anzahl ambulanter Pflegeeinrichtung zurückgehen könnte, wurde nicht gesagt.
Gesetzliche Vorgaben zu Neuverhandlungen
Auch die Pflegekassen sind sich der Situation der Pflegedienste bewusst. „Die aktuelle wirtschaftliche Situation und die unter anderem damit verbundenen Kostensteigerungen für Energie belasten alle Bereiche des Gesundheitswesens und stellen damit auch für die Anbietenden von Pflegeleistungen eine besondere Herausforderung dar“, heißt es vom GKV-Spitzenverband auf Nachfrage der Rechtsdepesche.
So gebe es sowohl für ambulante als auch für stationäre Pflegedienste eine gesetzliche Regelung (§ 85 Absatz 7 und § 89 Absatz 3 Satz 4 SGB XI), nach der die Pflegesätze bzw. Vergütungen auf Verlangen einer Vertragspartei für den laufenden Pflegesatz-/Vergütungszeitraum neu zu verhandeln sind, sollten sich unvorhersehbare wesentliche Veränderungen der Annahmen ergeben, die der Vergütungsvereinbarung ursprünglich zugrunde lagen. Steigende Energiepreise seien hier durchaus zu fassen.
Nach Meinung der GKV-Spitzenverbände seien somit die Pflegedienste in der Pflicht, ihre Forderungen den Pflegekassen vorzutragen. Wie die Verhandlungs- und Vergütungspraxis zwischen den Pflegediensten und Kassen ablaufe, sei jedoch auf den Landesebenen organisiert.
„Im Falle von noch bestehenden Vergütungs- und Pflegesatzvereinbarungen (laufender Vergütungs- und Pflegesatzzeitraum) gestalten sich die Forderungen der Leistungserbringenden in den Ländern dahingehend unterschiedlich, dass in einigen Ländern (noch) keine Forderungen zu Nach- oder Neuverhandlungen der Vergütungen gestellt wurden“, so der GKV.
In anderen Ländern gebe es nur von einzelnen Einrichtungsträgern und ‑verbänden Forderungen nach Neuverhandlungen, in anderen Ländern wiederum von allen Leistungserbringungsverbänden.