Abrechnungsbetrug
Abrech­nungs­be­trug im ganz großen Stil Bild: Lightkeeper/Dreamstime

Es geht um Geld, um richtig viel Geld – genauer gesagt um 3,5 Millio­nen Euro. Auf so viel beläuft sich der Betrag, die ein ambulan­ter Pflege­dienst aus Unter­fran­ken zu unrecht bei den Pflege- und Kranken­kas­sen abgerech­net haben soll.

Und würde nicht für Leistun­gen, die im Zeitraum vor 2018 zur Abrech­nung kamen, nicht bereits die Verjäh­rung zum Tragen kommen, dann würde sich die hier in Rede stehende Schadens­summe noch einmal deutlich erhöhen – um satte 1,2 Millio­nen Euro.

(K)ein Pflege­dienst ohne Verant­wort­li­che Pflege­kraft

Beschul­digt sind die drei Betrei­ber eines ambulan­ten Pflege­diens­tes in Unter­fran­ken, der in der Region Würzburg und Kitzin­gen tätig wurde: ein Mann (56 Jahre), dessen Ehefrau (47 Jahre) sowie deren Sohn (26 Jahre).

Keiner drei Beschul­dig­ten – als Betrei­ber des Pflege­diens­tes – waren im Besitz einer pflege­fach­li­chen Quali­fi­ka­tion. Auch die von den Betrei­bern zum Einsatz gebrach­ten Angestell­ten waren keine ausge­bil­de­ten Pflege­kräfte, sondern waren von den Betrei­bern ledig­lich angelernt.

Unter diesen Bedngun­gen mangelte es an der Erfül­lung einer wesent­li­chen Vorgabe zum Betrieb eines Pflege­diens­tes: Die gesetz­lich vorge­schrie­bene und fachlich beson­ders quali­fi­zierte „Verant­wort­li­che Pflege­fach­kraft“ nach § 71 SGB XI.

„(1) Ambulante Pflege­ein­rich­tun­gen (Pflege­dienste) im Sinne dieses Buches sind selbstän­dig wirtschaf­tende Einrich­tun­gen, die unter ständi­ger Verant­wor­tung einer ausge­bil­de­ten Pflege­fach­kraft […] versor­gen.

(2) […]

(3) Für die Anerken­nung als verant­wort­li­che Pflege­fach­kraft […] ist neben dem Abschluss einer Ausbil­dung als

  1. Pflege­fach­frau oder Pflege­fach­mann,
  2. Gesund­heits- und Kranken­pfle­ge­rin oder Gesund­heits- und Kranken­pfle­ger,
  3. Gesund­heits- und Kinder­kran­ken­pfle­ge­rin oder Gesund­heits- und Kinder­kran­ken­pfle­ger oder
  4. Alten­pfle­ge­rin oder Alten­pfle­ger

eine prakti­sche Berufs­er­fah­rung in dem erlern­ten Ausbil­dungs­be­ruf von zwei Jahren inner­halb der letzten acht Jahre erfor­der­lich. […]“

Auszug aus § 71 SGB XI – Pflege­ein­rich­tun­gen

Auch die Rahmen­emp­feh­lun­gen nach § 132a Absatz 1 SGB V zur Versor­gung mit Häusli­cher Kranken­pflege vom 10.12.2013 in der Fassung vom 28.10.2021 nehmen Bezug zur Verant­wort­li­chen Pflege­fach­kraft. Dort heißt es:

„Die vom ambulan­ten Pflege­dienst angebo­te­nen Leistun­gen der häusli­chen Kranken­pflege gemäß § 37 SGB V sind unter ständi­ger Verant­wor­tung einer Pflege­fach­kraft durchzuführen.“

Auszug aus § 1 Absatz 1 der Rahmen­emp­feh­lung – Verant­wort­li­che Pflege­fach­kraft

Hieraus konsti­tu­iert sich der Vorwurf der Staats­an­walt­schaft: Da weder die Beschul­dig­ten noch deren Angestellte über die vom Gesetz­ge­ber gefor­derte beson­dere Quali­fi­ka­tion einer Verant­wort­li­chen Pflege­kraft verfüg­ten, hätten die Leistun­gen gar nicht erst abgerech­net werden dürfen.

Duch das Fehlen der Verant­wort­li­chen Pflege­fach­kraft – deren Aufgabe unter anderem die Siche­rung der Pflege­qua­li­tät ist – soll es den Beschul­dig­ten möglich gewesen sein, die Dokumen­ta­tion der Leistun­gen nach eigenem Ermes­sen zu ändern, um nicht erbrachte Leistun­gen vorzu­täu­schen und die Quali­tät der Leistun­gen des Pflege­diens­tes auf ein Minimum zu reduzie­ren.

Ermitt­lun­gen nach anony­men Tipp

Die Anklage ist auf Betrei­ben der Bayeri­schen Zentral­stelle zur Bekämp­fung von Betrug und Korrup­tion im Gesund­heits­we­sen (ZKG), eine spezi­el­len Einrich­tung der General­staats­an­walt­schaft Nürnberg, erfolgt.

Diese erhielt einem anony­men Hinweis über das webba­sierte Hinweis­ge­ber­sys­tem, worauf­hin entspre­chende Ermitt­lun­gen aufge­nom­men worden sind.

Abrech­nungs­be­trug um Luxus­le­ben zu finan­zie­ren

Nach den Ermitt­lungs­er­geb­nis­sen soll das beschul­digte Ehepaar zunächst allein gehan­delt haben. Ab Septem­ber 2017 soll deren Sohn – der dritte Beschul­digte – als Bürokraft angestellt und zumin­dest ab Januar 2018 an der Organi­sa­tion des Pflege­diens­tes betei­ligt gewesen sein.

Mit den Erlösen aus dem Abrech­nungs­be­trug sollen die Beschul­dig­ten unter anderem den luxuriö­sen Lebens­un­ter­halt der Familie bestrit­ten haben. Medien­be­rich­ten zufolge soll diese unter anderem über teure Autos und einer Villa mit Pool verfü­gen.

Da die ZKG im Wesent­li­chen die Einzie­hung der Schadens­summe anstrebt, wurden zur Siche­rung des Einzie­hungs­be­tra­ges bereits Hypothe­ken in sieben bebaute Grund­stü­cke einge­tra­gen. Darüber hinaus wurden weitere Vermö­gens­werte in Höhe von über 1,6 Millio­nen Euro (ohne die Grund­stü­cke) sicher­ge­stellt.

Banden­mä­ßi­ger Abrech­nungs­be­trug

Spätes­tens mit der Einbe­zie­hung des Sohnes in die Organi­sa­tion des Pflege­diens­tes (ab Januar 2018) lag nach Auffas­sung der Staats­an­walt­schaft eine Bande im Sinne des Straf­ge­setz­bu­ches vor.

Sollte das Gericht zur gleichen Auffa­sung kommen, so würde dies unwei­ger­lich zur Feststel­lung einer beson­de­ren Schwere der Tat führen. Hierauf droht eine Freiheits­strafe sechs Monaten bis zu zehn Jahren (siehe auch § 263 Absatz 3 StGB).

Im Ermitt­lungs­ver­fah­ren räumte die beschul­digte Ehefrau den äußeren Sachver­halt teilweise ein. Die beiden Männer äußer­ten sich zum Vorwurf des Abrech­nungs­be­trugs hinge­gen nicht.

Das Verfah­ren läuft noch

Seit Ende Juni verhan­delt nun die 18. Straf­kam­mer des Landge­richts Nürnberg-Fürth den Fall (Az.: 18 Kls 104 Js 10095/22). In den Prozess geht es laut Ankla­ge­schrift um den Verdacht des banden­mä­ßi­gen Abrech­nungs­be­trugs in insge­samt 1.022 Fällen.

Inzwi­schen erfolg­ten bereits über 30 Verhand­lungs­tage. Nach Auskunft der Presse­stelle des Landge­richts gegen­über der Rechts­de­pe­sche ist ‑vorbe­halt­lich etwaiger Verfah­rens­be­son­der­hei­ten- mit einer Urteils­ver­kün­dung voraus­sicht­lich aber erst im Dezem­ber zu rechnen.

Doch das heißt nicht, dass danach der Fall für die drei Beschul­dig­ten abgeschlos­sen wäre. Denn etwaige Körper­ver­let­zungs­de­likte gemäß § 223 StGB waren nicht Gegen­stand des Ermitt­lungs­ver­fah­rens der ZKG. Hier ermit­telt derzeit noch die Staats­an­walt­schaft Würzburg, die ihrer­seits noch eine entspre­chende Anklage erheben könnte.

Zwei der drei Beschul­dig­ten befin­den sich wegen Flucht- und Verdunk­lungs­ge­fahr in Haft; die ebenfalls beschul­digte Frau wurde hieraus zwischen­zeit­lich entlas­sen.