Das Respiratorisches Synzytial-Virus (RSV) ist die Ursache für Erkrankungen der unteren Atemwege wie Bronchiolitis und Lungenentzündung, an denen jeden Winter Säuglinge besonders schwer erkranken.
2019 wurden weltweit etwa 33 Millionen Fälle akuter Infektionen der unteren Atemwege registriert. Diese führten zu mehr als drei Millionen Hospitalisierungen und zum Tod von über 26.000 Kindern unter fünf Jahren im Krankenhaus.
Während des letzten Winters mussten in Deutschland besonders viele Babys auf der Intensivstation behandelt werden: Im Vergleich zu den letzten Jahren stieg die Anzahl um 50 Prozent.
Nirsevimab senkt Hospitalisierungsrate bei RSV
Mit dem neuen Wirkstoff Nirsevimab (Handelsnahme Beyfortus) gibt es ab 1. September 2023 ein Mittel zur Prävention.
Der langwirksame monoklonaler Antikörper zur RSV-Prävention bei Neugeborenen und Säuglingen wird Kleinstkindern, ähnlich einer Impfung, einmal vor Beginn der RSV-Saison prophylaktisch gegeben. Kommen die Kinder erst während der RSV-Saison zur Welt, wird der Wirkstoff unmittelbar nach ihrer Geburt verabreicht.
Danach sind die Kinder immunisiert: In Studien* konnte der Wirkstoff, der von Sanofi in Zusammenarbeit mit AstraZeneca entwickelt wurde, die Hospitalisierungsrate um über 80 Prozent senken. Keine Kleinigkeit für die Gesundheitssysteme: Zahlen von 2017 geben die RSV-bedingten medizinischen Kosten weltweit mit 4,82 Milliarden Euro an.
In Kanada, Frankreich, Spanien und Großbritannien ist Nirsevimab bereits zur Prävention zugelassen, seit einigen Wochen auch in den USA.
In Deutschland allerdings steht eine entsprechende Regelung noch aus. Da der Wirkstoff – wie alle monoklonalen Antikörper – nicht als Impfung, sondern als Arzneimittel eingestuft wird, ist die Erstattung über die gesetzlichen Krankenkassen nicht vorgesehen. Denn im Sozialgesetzbuch gibt es keine Regelung über den Einsatz von Arzneimitteln zur Vorbeugung.
Um das zu ändern, müsste das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) eine Gesetzesänderung durchsetzen, die den Einsatz von Arzneimitteln zur Primärprävention ausdrücklich erlaubt.
Allerdings sieht es aktuell nicht danach aus: Auf eine Anfrage von Tagesspiegel Background teilte das BMG mit, man prüfe „gegenwärtig, inwiefern es hinsichtlich der Erstattung von Arzneimitteln zur spezifischen Prävention übertragbarer Krankheiten gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt.“
Das Ergebnis der Prüfung müsse man abwarten: „Mit einer finalen Empfehlung zur Prävention von RSV-Erkrankungen wird 2024 gerechnet“.
Zumindest für den kommenden Winter sieht es also schlecht aus.
RSV-Prophylaxe bisher nur für Risikogruppen
Das BMG verweist auf Alternativen zu Nirsevimab: Für Säuglinge, die zu einer Risikogruppe gehören, gebe es den monoklonalen Antikörper Palivizumab. Dieser ist zwar schon seit 1999 zugelassen, allerdings eben nur für Hochrisikogruppen. Das sind
- Kinder, die in der 35. Schwangerschaftswoche oder früher geboren wurden und zu Beginn der RSV-Saison jünger als sechs Monate sind,
- Kinder unter zwei Jahren , die innerhalb der vorherigen sechs Monate wegen bronchopulmonaler Dysplasie behandelt wurden
- und Kinder unter zwei Jahren mit hämodynamisch signifikanten angeborenen Herzfehlern.
Diese Risikogruppen machen allerdings nur etwa zwei Prozent der Erkrankten aus, denn auch gesunde und reifgeborene Kinder erkranken schwer an RSV.
Eine Alternative zur Gesetzesänderung wäre die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO): Sie ist in ihren Empfehlungen gesetzlich nicht auf Impfstoffe beschränkt, sondern darf auch Empfehlungen für spezifische Prophylaxemaßnahmen aussprechen. Sie könnte also auch den Einsatz von Nirsevimab empfehlen.
Eine schnelle Regelung ist allerdings auch hier nicht geplant: Laut Robert-Koch-Institut entwickelt die STIKO aktuell ein Modell, um die am besten geeignete Präventionsstrategie zu identifizieren. Mit einer Entscheidung sei nicht vor 2024 zu rechnen.
Es ist verständlich, dass die STIKO jeden Wirkstoff sorgfältig prüfen muss, bevor er für den Einsatz in der Breite zugelassen wird. Trotzdem wünschen sich Eltern und Kinderärzte eine pragmatische Lösung vor dem nächsten Winter. Die könnte von den Krankenkassen selbst kommen., die die Prophylaxe mit Nirsevimab auf freiwilliger Basis übernehmen könnten.
Dann hätten die Versicherten immer noch keinen regelhaften Anspruch auf die Kostenübernahme, aber als Übergangslösung, bis STIKO und BMG ihre jeweiligen Prüfungen abgeschlossen haben, wäre das durchaus denkbar. Bis jetzt hat sich der GKV-Spitzenverband auf Anfragen nicht definitv geäußert, verwies aber auf Beratungen im Gemeinsamen Bundesausschusss (G‑BA).
* Hintergrundinformationen zur Studie: Die länderübergreifende europäische Studie untersuchte die Prävention von RSV-bedingten Hospitalisierungen durch monoklonale Antikörper. Dabei wurden Wirksamkeit und Sicherheit einer intramuskulär verabreichten Einzeldosis Nirsevimab beurteilt. Es nahmen europaweit über 8.000 Säuglinge an fast 250 Standorten teil. Die Datenerhebung erfolgte während der vergangenen RSV-Saison unter realen praxisnahen Bedingungen.