Querschnittsgelähmter muss Getränke angereicht bekommen
Schadensersatz gefordert: Ein querschnittsgelähmter Mann ist wegen fehlender häuslicher Versorgung in einem Pflegeheim untergebracht. Sein Zustand führt zu motorischen und sensiblen Ausfällen im Bereich der unteren Extremitäten und des Rumpfes.
Beim Oberkörper besteht eine inkomplette Lähmung der Extremitäten. Das bedeutet seine Hände sind taub und ein koordiniertes Greifen sowie ein Faustschluss sind nicht möglich. Kognitiv ist er weitestgehend uneingeschränkt.
Mit einem Elektrorollstuhl kann er sich durch Bedienen eines Joysticks selbstständig bewegen. Er ist nicht in der Lage sich selbst Essen zuzubereiten oder sich aus einer Flasche ein Getränk einzuschenken.
Mahlzeiten kann er jedoch mit einer speziellen Gabel zum Mund führen und Getränke durch einen Strohhalm trinken, wenn sie ihm angereicht werden.
Heißer Tee über Bewohner ausgekippt
Eine Mitarbeiterin des Pflegeheims hatte dem Mann in seinem Thermobecher heißen Tee gebracht und auf seinem Nachttisch abgestellt. Zudem hatte sie ihn darauf hingewiesen, dass der Tee noch heiß sei und so noch nicht getrunken werden könne.
Sie wollte später wieder kommen und ihm den Tee anreichen. Das nahm der Mann mit einem Kopfnicken zur Kenntnis.
Währenddessen betätigte der Mann seinen Elektrorollstuhl und stieß aus Versehen gegen den Tisch, auf dem der Thermobecher stand. Der Becher fiel um und der heiße Tee ergoss sich auf den Schoß des Mannes.
Er erlitt im Bereich der Oberschenkelinnenseiten Verbrühungen und wurde mit einem Rettungswagen in ein Krankenhaus gebracht. Dort wurde er mehrere Wochen stationär behandelt. Danach wurde er ambulant versorgt.
Schadensersatz wegen verletzten Pflegepflichten?
Die Klageseite vertritt die Auffassung die Mitarbeiterin habe ihre Pflegepflichten verletzt. Sie hätte den Tee nicht unbeaufsichtigt in einem offenen Gefäß an der Kante des Nachttischs stehen lassen dürfen.
Beziehungsweise hätte sie den Mann in dieser Situation nicht unbeaufsichtigt lassen dürfen. Somit liege ein Pflegefehler vor. Die Mitarbeiterin behauptete den Thermobecher standsicher abgestellt zu haben.
Vor Gericht fordert die Klageseite Schadensersatz in Höhe von 5.0208,44 Euro und die Zahlung aller weiteren materiellen Schäden. In erster Instanz hat das Landgericht Krefeld die Klage abgewiesen. Die Klageseite ging in Berufung vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf.
Auch die Berufung blieb erfolglos. Eine Pflichtverletzung ist der Beklagten nicht anzulasten. Nach § 3 Absatz 1 HeimG (Fassung vom 8. November 2016) müssen die pflegerischen Leistungen aus dem Heimvertrag nach dem jeweils anerkannten Stand fachlicher Erkenntnisse erbracht werden.
Ebenso müssen Bewohnerinnen und Bewohner vor Schädigungen geschützt werden, die wegen Krankheit oder sonstigen körperlichen oder geistigen Einschränkungen und bauliche Gestaltung des Altenheims drohen.
Die Obhutspflicht der beklagten Mitarbeiterin beschränkt sich allerdings auf Maßnahmen, die in Pflegeheimen mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab ist das Erforderliche sowie das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare.
In Pflegeheimen – aber auch im Leben anderer Personengruppen – sind deshalb Umstände denkbar, die das konkrete Unfallgeschehen hätten verhindern können, ohne dass daraus eine Haftung abgeleitet werden könnte.
Gefahr lag im normalen alltäglichen Rahmen
Der Thermobecher war standfest auf dem Nachtisch abgestellt worden. Ein konkreter Anhaltspunkt für eine beachtliche Selbstgefährdung des Mannes war nicht ersichtlich.
Er war – darin sind sich beide Parteien einig – selbstständig in der Lage sich mit seinem Elektrorollstuhl sicher zu bewegen. Gewährt das Personal des Pflegeheims dem Mann die Wahrung seiner Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung dann besteht immer die Möglichkeit, dass er durch Unachtsamkeit sich selbst oder auch Dritte schädigt.
Die Möglichkeit, dass er mit seinem Elektrorollstuhl gegen seinen Nachttisch fährt und einen Gegenstand herunterstößt, liegt im normalen alltäglichen Gefahrenbereich.
Quelle: OLG Düsseldorf vom 9. Mai 2023 – 24 U 204/21 = RDG 2024, S. 151 ff.