Für die Befürworter einer eigenen berufsständischen Vertretung für Pflegende bedeutet es einen herben Rückschlag. Bei einer landesweiten Befragung waren in Hessen die 65.000 ausgebildeten Alten- und Krankenpfleger aufgerufen abzustimmen, ob jene eine Landespflegekammer wollen oder nicht. Dabei haben sie mehrheitlich mit Nein gestimmt. 51,1 Prozent ablehnende Stimmen standen 42,9 Prozent Befürwortern gegenüber. Wenige Tage nach Bekanntgabe der Ergebnisse durch das Hessische Sozial- und Integrationsministerium sind Analyse und Bewertung des Ergebnisses nun in vollem Gange.
Ein Unterschied zu vorangegangenen Befragungen von Pflegekräften in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Niedersachsen war in Hessen, dass laut der Organisatoren sämtliche Pflegende ihre Stimme abgeben konnten – nicht nur eine stichprobenartige Anzahl. So lief die Abstimmung im Einzelnen ab: Wie das Hessische Ministerium für Soziales und Integration (HMSI) auf Anfrage der „Rechtsdepesche für das Gesundheitswesen“ erläutert, habe das Hessische Statistische Landesamt (HSL) alle Einrichtungen und Institutionen der Alten- und Krankenhilfe angeschrieben. Jedem Schreiben beigelegt waren Info-Materialien und so viele Zugangscodes, wie in der jeweiligen Einrichtung an Pflegefachkräften arbeiten. Mit jedem dieser Codes konnte jeweils einmalig an der Online-Befragung auf der HSL-Website teilgenommen werden. „Insgesamt beteiligten sich 7.816 Pflegekräfte an der Befragung, das entspricht einer Rücklaufquote von 12 %“, informiert Markus Büttner, stellvertretender Pressesprecher des Ministeriums.
Während das Lager der Befürworter einer Pflegekammer nun das Ergebnis bedauert, gibt es von dort gleichzeitig deutliche Kritik an der geschilderten Art und Weise der Befragung.
DBfK: Abstimmung „völlig übereilt herbeigeführt“ – DPR-Präsident: Jetzt erst recht
„Das Ergebnis bestätigt wiederum, dass Desinformation eher zu einer ablehnenden Haltung führt“, kommentiert Andrea Kiefer, Vorsitzende des Regionalverbands Südwest des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK), das Resultat. Die Befragung sei „völlig übereilt herbeigeführt“ worden und im Vergleich zu anderen Bundesländern „schlecht aufgesetzt und kommuniziert“, kritisiert sie. So hätte man nicht rechtzeitig Informationen über die Aufgaben und Ziele einer Pflegekammer verbreiten können. Auch hätten sich Kollegen gemeldet, die vom Hessischen Statistischen Landesamt – das von Mitte Juni bis Ende August die Umfrage im Auftrag des Ministeriums durchführte – keine Zugangsdaten bekommen hätten, um abzustimmen, moniert sie.
Ähnlich äußerte sich auch Franz Wagner, Präsident des Deutschen Pflegerats (DPR). Die Auswahl und Ansprache der zu Befragenden sei laut der dem Verband vorliegenden Berichte „chaotisch“ gewesen. Anders als die Organisatoren suggerieren würden, sei die Umfrage daher gerade nicht als repräsentativ anzusehen. „Es ist bezeichnend, dass gerade diejenigen, die bei tatsächlich repräsentativen Befragungen mit positivem Ergebnis pro Pflegekammer immer deren Aussagekraft bezweifelt haben, jetzt auf der Basis dieser Zahlen einen Beweis gegen die Kammergründung erbracht sehen“, fuhr er fort. Und: „Wenn bestimmte Leute solche Angst vor Pflegekammern haben, ist das geradezu eine Empfehlung, das Ziel weiter zu verfolgen.“
Arbeitgeber und Gewerkschaft in seltener Einmut
Dagegen begrüßen erwartungsgemäß der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), der bundesweite Arbeitgeberverband Pflege sowie der hessische Landesbezirk von ver.di das ablehnende Votum aus Hessen. Wenn die Landesregierung das Ergebnis nun auch ernst nehme, „ist die Idee einer Pflicht-Pflegekammer in Hessen Geschichte“, heißt es in der Verlautbarung des bpa. Statt einer „neuen Mammutbehörde“ bräuchten die Pflegenden vielmehr eine schnelle Entlastung durch verlässliche Rahmenbedingungen und Rekrutierung von Pflegekräften aus dem Ausland.
„Kräftiger hätte der Paukenschlag kaum ausfallen können“, resümieren derweil die Arbeitgeber. Sie werteten die vorangegangenen Befragungen in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Niedersachsen als „höchst fragwürdig“ und von politischen Willen beeinflusst, „um ein dort von den jeweiligen Landesregierungen politisch gewolltes Ja buchstäblich hinzufriemeln“, hieß es. Nun müssten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und sein Pflegestaatssekretär Andreas Westerfellhaus innehalten und akzeptieren, „dass vor allem die allermeisten Altenpfleger eine solche Zwangsbeglückung nicht wollen“. In seltener Einigkeit stimmt da auch ver.di ein. „Pflege braucht auch in Hessen Aufwertung und Entlastung durch gute Arbeitsbedingungen, verbindliche Personalmindeststandards und angemessene Bezahlung. Dafür müssen die politisch Verantwortlichen und die Arbeitgeber sorgen“, so Georg Schulze-Ziehaus, Leiter des Fachbereichs Gesundheit bei ver.di in Hessen. „Statt auf eine Pflegekammer mit verpflichtender Mitgliedschaft setzen wir auf das freiwillige Engagement von Pflegekräften für bessere Arbeitsbedingungen. Die hessischen Pflegekräfte sehen das mehrheitlich offenbar genauso.“
Quelle: Hessisches Ministerium für Soziales und Integration, DBfK, DPR, bpa, verdi, AGVP