Betrunkene Patienten sind für Ärzte oft nicht einfach zu managen. Der eine tritt aggressiv auf, der andere verfällt schnell in depressive Verhaltensweisen. Entscheidungen darüber, ob eine Behandlung sofort zu tätigen oder eher aufzuschieben ist, sind daher häufig schwierig. Zudem muss bei der Entlassung solcher Patienten auf deren Sicherheit und eine Nicht-Gefährdung anderer Personen geachtet werden.
Die Empfehlungen zum Umgang mit alkoholisierten Patienten stammen aus einer Publikation der Prof. Dr. Tilman Wetterling und Prof. Dr. med. Klaus Junghans von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uni Lübeck sowie aus dem Rechtsdepesche-Themenheft zur Fahrtauglichkeit bei neurologischen Erkrankungen:
Umgang mit alkoholisierten Patienten
Zunächst einmal ist die Alkoholintoxikation mittels Blutabnahme und Atemalkoholspiegel festzustellen. Ab einem Promillewert von 0,5 ist dabei mit beachtenswerten psychischen und kognitiven Einschränkungen zu rechnen, bei Alkoholikern oder Gewohnheitstrinkern womöglich erst später. Ärzten wird daher empfohlen, betrunkene Patienten neben den Alkoholtests auch auf deren körperlichen Zustand, also Gangsicherheit, Orientierung oder Reaktion, zu untersuchen und zusätzlich auf weitere Drogen zu überprüfen.
Ob ein alkoholisierter Patient entlassen oder stationär aufgenommen werden soll, obliegt der fachlichen Einschätzung des Arztes. Dabei gilt es abzuwägen, ob der Patient ein Risiko für eine Eigen- oder Fremdgefährdung darstellt. Hilfreich ist, herauszufinden, ob der Betroffene möglicherweise suizidgefährdet ist oder ob es im Zuge einer Aufnahme zu starken Entzugserscheinungen wie Delir oder Krampfanfällen kommen kann. Der Arzt sollte daher das persönliche Gespräch mit dem alkoholisierten Patienten suchen und ihm sein offenes Ohr anbieten.
Gibt es Hinweise auf eine mögliche Gewaltbereitschaft des Patienten, so sollte dies als Risiko einer Fremdgefährdung dokumentiert werden. Auch Drohungen und aggressives Verhalten gegenüber dem Einrichtungspersonal gehören dazu. Pflegekräften und Medizinern wird geraten, sich nicht provozieren zu lassen und zusätzliches Personal zur Beruhigung und zum Selbstschutz heranzuziehen.
Rechte und Pflichten des Arztes
Will sich ein unter Alkohol stehender Patient medizinisch behandeln lassen, so sind hinsichtlich der ärztlichen Aufklärungspflicht über die medizinischen Maßnahmen und der Einwilligung des Patienten zwei Szenarien zu unterscheiden:
Ist der Patient nach Einschätzung des Arztes in der Lage, der Aufklärung zu folgen und die nach der Behandlung möglichen Risiken bei der Entlassung aufgrund des alkoholisierten Zustandes zu verstehen, so kann der Patient unter ausdrücklicher Warnung und Anweisung auf das Unterlassen des Führens eines Kraftfahrzeugs entlassen werden. Zu dieser Aufklärung über die potenziellen Gefahren bei einer Fahruntüchtigkeit ist der Arzt nach § 630c Absatz 2 BGB verpflichtet. Eine genaue Dokumentation des Gesprächs, insbesondere der Einsichts- und Urteilsfähigkeit ist daher empfehlenswert. Bestenfalls liegt der Dokumentation noch die Anwesenheit eines Zeugens bei. Im Falle eines einsichtigen Patienten sind weitere Maßnahmen, wie die Information des Gesundheitsamtes, des Amtsarztes oder der Straßenverkehrsbehörde nicht notwendig.
Ist der Arzt dagegen der Auffassung, dass der alkoholisierte Patient sämtliche ärztliche Warnungen ignoriert oder nicht versteht, stellt sich die Situation etwas komplizierter dar. Der Arzt hat das Recht, die Behandlung eines alkoholisierten Kraftfahrers gemäß der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) abzulehnen. Dies kann er dann, wenn er Zweifel daran hegt, ob das für die Behandlung nötige Vertrauensverhältnis zustande kommen kann und er deswegen das alkohol- oder drogeninduzierte Behandlungsrisiko nicht übernehmen möchte. Dies ergibt sich aus Anlage 4 zu § 11 FeV und § 13 FeV.
Wenn der Arzt jedoch die Behandlung übernimmt, entsteht zum einen eine strafrechtlich relevante Garantenpflicht. Zum anderen resultiert eine zivilrechtliche Sorgfaltspflicht zur Gefahrenabwehr im Straßenverkehr durch die Anwendung von medizinischem Fachwissen bei verkehrsrelevanten Gesundheitseinschränkungen, die sich am Maßstab der Verkehrsmedizin orientiert.
Kritisch wird die Situation, wenn der einsichtsfähige Patient das vom Arzt ausgesprochene Fahrverbot nicht beachtet. Aus der Patientenverhältnis resultierenden Schweigepflicht gemäß § 203 Absatz 1 Nummer 1 StGB ist eine Weitergabe der Information über die Fahruntüchtigkeit des Patienten an die entsprechenden Stellen (Fahrerlaubnisbehörde, Polizei) grundsätzlich nicht möglich.
Dieses Spannungsverhältnis der Pflichten könnte sich jedoch nach den Vorgaben des strafrechtlichen Notstandes gemäß § 34 StGB auflösen. Demnach könnte der Arzt trotz seiner Schweigepflicht dazu berechtigt sein nach Abwägung der relevanten Interessen und Pflichten die Verkehrsbehörde zu benachrichtigen, wenn es sicher erscheint, dass sein Patient trotz Alkoholeinfluss ein Fahrzeug führt und sich selbst oder unbeteiligte Verkehrsteilnehmer gefährdet.
Quelle:
- Wetterling/Junghans: Alkoholintoxikation – ein psychiatrischer Notfall. In: Fortschritte der Neurologie Psychiatrie 2019 vom 18. März 2019 (Quelle: Thieme)
li id=„fn2“>RDG-Themenheft: Fahrtauglichkeit bei neurologischen Erkrankungen