Berufekammern sind von den Ländern (vgl. Artikel 30, 70 ff. GG) per Hoheitsakt eingesetzte Körperschaften des öffentlichen Rechts (KöR), die mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben beauftragt werden, die der Staat sonst selbst erfüllen müsste.
Die Berufekammer tritt somit an die Stelle des Staates (der in dieser Konstellation eine Aufsichtsfunktion einnimmt) und erhält im Gegenzug gewisse Rechtsetzungsbefugnisse, um eigenverantwortlich die ihr übertragenen Aufgaben erfüllen zu können (Stichwort: Selbstverwaltung).
Typische Beispiele für derartige Berufekammern sind die Landesärztekammern oder die Rechtsanwaltskammern, die für ihre jeweilige Zunft beispielsweise über das Recht zur Zulassung zur Berufsausübung (beziehungsweise zum Widerruf von eben dieser) verfügen.
Körperschaft führt zur Zwangsmitgliedschaft
Mithin ist das Vorliegen einer Zwangsmitgliedschaft wesentliches Kennzeichen einer Körperschaft. Kleine Anmerkung am Rande: Faktisch ist jede Bürgerin und jeder Bürger bereits von Haus aus ein Zwangsmitglied – und zwar durch die Gemeinde ihres/seines Wohnorts: Denn hierbei handelt es sich um eine sogenannte Gebietskörperschaft, an die man gewisse Steuern und Beiträge – sozusagen der Mitgliedsbeitrag – zu entrichten hat.
Bei den Berufekammern ergibt sich – wie sich aus dem Titel bereits erahnen lässt – die Mitgliedschaft zunächst durch die Tatsache, dass man Inhaber einer Erlaubnis zum Führen eines bestimmten Berufstitels ist. Welche Berufstitel hierunter fallen und welche nicht, kann jedes Bundesland für sich eigenständig regeln. Gleiches gilt im Übrigen auch für die Frage, ob es überhaupt zu einer Verkammerung kommen soll oder nicht.
Beispiel Rheinland-Pfalz
Mit dem Heilberufsgesetz (HeilBG) vom 19. Dezember 2014 hat das Bundesland Rheinland-Pfalz für sich festgelegt, welche Angehörigen eines Heilberufs Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Berufsvertretung sein sollen. Nach § 1 Absatz 1 HeilBG sind das:
§ 1 Mitgliedschaft
(1) Die
- Ärztinnen und Ärzte,
- Zahnärztinnen und Zahnärzte,
- Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychologischen Psychotherapeuten,
- Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten,
- Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten,
- Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und Gesundheits- und Krankenpfleger,
- Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger,
- Altenpflegerinnen und Altenpfleger,
- Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner,
- Pflegefachfrauen (Bachelor) und Pflegefachmänner (Bachelor),
- Apothekerinnen und Apotheker und
- Tierärztinnen und Tierärzte
in Rheinland-Pfalz gehören öffentlichen Berufsvertretungen (Kammern) an.
Weiter ausführend bestimmt Absatz 2 von § 1 HeilBG, dass den Kammern alle in Absatz 1 genannten Personen angehören, vorausgesetzt sie üben ihren Beruf in Rheinland-Pfalz aus. Dabei umfasst die an dieser Stelle genutzte rechtsbegriffliche Formulierung „Ausübung des Berufs“
„[…] jede Tätigkeit, bei der berufsgruppenspezifische Fachkenntnisse angewendet, verwendet oder lediglich mitverwendet werden.“
Diese scheinbar präzisierende Umschreibung hinterlässt genauerer Betrachtung eine Reihe offener Fragen: Was umfasst die berufsgruppenspezifischen Fachkenntnisse? Was bedeutet „lediglich mitverwendet“? Fragen, über deren Antworten sich vortrefflich streiten lässt. Und gestritten wird durchaus – und zwar vor Gericht, wenn diese im Einzelfall mit der (Nicht-)Feststellung der Zwangsmitgliedschaft betraut sind. Beispiele:
- Bejaht: Zwangsmitgliedschaft einer verbeamteten Lehrerin für Fachpraxis an einer berufsbildenden Schule für Altenpflege: OVG Rheinland-Pfalz vom 8. September 2020 (Az.: 6 A 11831/19) = RDG 2021, 25 ff.
- Verneint: Zwangsmitgliedschaft einer in der EKG-Funktionsabteilung eines Krankenhauses arbeitenden Krankenpflegerin: VG Koblenz vom 9. März 2018 (Az.: 5 K 1084/17.KO) = RDG 2018, 129 ff.
Beispiel Nordrhein-Westfalen
Auch in Nordrhein-Westfalen existiert ein eigenes Heilberufsgesetz (HeilBerG), welches über eine Regelung zur Errichtung von beruflichen Vertretungen (Kammern) für bestimmte Berufsbilder verfügt. Auf den ersten Blick erscheint dies dem des rheinland-pfälzischen Nachbarn nicht unähnlich:
§ 1 Kammern für Heilberufe
Im Land Nordrhein-Westfalen werden als berufliche Vertretungen der
- Ärztinnen und Ärzte
die Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe,- Apothekerinnen und Apotheker
die Apothekerkammern Nordrhein und Westfalen-Lippe,- Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner, Altenpflegerinnen und ‑pfleger, Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und ‑pfleger und Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und ‑pfleger (Pflegefachpersonen)
die Pflegekammer Nordrhein-Westfalen,[…]
errichtet. Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts und führen ein Dienstsiegel. Den Sitz der Kammern bestimmen die Hauptsatzungen.
Die weiteren Ausführungen zur Kammermitgliedschaft finden sich hingegen in § 2 HeilBerG („Kammerangehörige“). Dessen Absatz 1 formuliert:
§ 2 Kammerangehörige
(1)
Den Kammern gehören alle in § 1 Satz 1 genannten Personen […] an, die im Land Nordrhein-Westfalen ihren Beruf ausüben oder, falls sie ihren Beruf nicht ausüben, ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Nach diesen Bestimmungen sind grundsätzlich alle in Nordrhein-Westfalen tätigen Pflegefachpersonen Mitglied der Pflegekammer NRW – und zwar unabhängig davon, ob sie in Nordrhein-Westfalen oder in einem der benachbarten Bundesländer wohnen (= tätigkeitsabhänge Mitgliedschaft).
Darüber hinaus sind aber auch alle in Nordrhein-Westfalen wohnhaften Pflegefachpersonen Mitglied der Pflegekammer NRW, und zwar unabhängig davon, ob sie den Beruf derzeit nicht oder nicht mehr nachgehen (= wohnortabhängige Mitgliedschaft).
Dies beträfe beispielsweise auch Rentnerinnen und Rentner sowie Berufsausteigern – zumindest solange sie sich noch im Besitz ihrer Erlaubnisurkunde befinden (vgl. Drucksache 17/8926, S. 75 zu Nummer 2).
Doppelte Zwangsmitgliedschaft?
Rechtsanwälte, die zugleich auch den Beruf des Notars oder des Steuerberaters ausüben, kennen das: die Zwangsmitgliedschaft in mehreren berufsständischen Vertretungen.
Eine ähnliche Situation kann unter bestimmten Umständen nordrhein-westfälischen Pflegefachpersonen ereilen, und zwar dann, wenn sie in Nordrhein-Westfalen wohnen (hier greift das nordrhein-westfälischen Heilberufsgesetz), der Ort ihrer Beschäftigung jedoch in Rheinland-Pfalz liegt (hier greift das rheinland-pfälzische Heilberufsgesetz). Prominentestes „Opfer“ dieser Regelung ist im Übrigen Sandra Postel, Präsidentin der Pflegekammer NRW, wie sie selbst in einer Folge des Pflege-Podcasts Übergabe verriet.
Im umgekehrten Fall – also Wohnort in Rheinland-Pfalz, Arbeitsort in Nordrhein-Westfalen – liegt die Sache einfacher: Hier würde sich aus dem oben genannten nur die Mitgliedschaft in der Pflegekammer NRW ergeben, da der Geltungsbereich der rheinland-pfälzischen Bestimmung tatsächlich auch mit der Landesgrenze endet.
Befreiung von Auszubildenden
Zu guter Letzt gilt es noch die Situation derjenigen zu beleuchten, die sich gegenwärtig in der Ausbildung zur Pflegefachperson befinden beziehungsweise ein entsprechendes Studium aufgenommen haben. Da diese Personen (noch) nicht über den geforderten Berufstitel verfügen, ist eine Zwangsmitgliedschaft in der jeweiligen Landeskammer somit ausgeschlossen,
Jedoch sieht sowohl das rheinland-pfälzische Heilberufsgesetz (vgl. § 1 Absatz 3 Satz 2 HeilBG) als auch dessen nordrhein-westfälisches Pendant (vgl. § 2 Absatz 3 HeilBerG) für diesen Fall die Möglichkeit einer freiwilligen Mitgliedschaft vor.