elektronische Patientenakte
Die elektro­ni­sche Patien­ten­akte: Alle Infor­ma­tio­nen stets griff­be­reit – so die Idee. Bild: Nils Ackermann/Dreamstime.com

Die erste Idee zur elektro­ni­sche Patien­ten­akte (ePA) ist über 20 Jahre alt. Seit Januar 2021 wird sie von den gesetz­li­chen Kranken­kas­sen angebo­ten, aller­dings optio­nal: Die Versi­cher­ten müssen selbst die Einrich­tung der elektro­ni­schen Patien­ten­akte beantra­gen – vermut­lich einer der Gründe dafür, dass die Nutzung bisher sehr gering ist. Ende Januar 2023 hatten 595.000 gesetz­lich Versi­cherte – weniger als ein Prozent – die elektro­ni­sche Patien­ten­akte beantragt.

Ab Januar 2025 soll sich das ändern. Arztpra­xen, Klini­ken und andere Leistungs­er­brin­ger des Gesund­heits­sys­tems sollen gesetz­lich verpflich­tet werden, Behand­lungs­da­ten ins System zu übertra­gen.

Opt-out statt Opt-in

Zusätz­lich wird die Patien­ten das Opt-in-Verfah­ren, bei dem die Patien­ten aktiv die Umstel­lung beantra­gen, auf ein Opt-out umgestellt. Damit wird für alle gesetz­lich Versi­cher­ten automa­tisch die elektro­ni­sche Patien­ten­akte angelegt, wenn sie nicht aktiv wider­spre­chen.

Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach (SPD) geht davon aus, dass nicht allzu viele diesen Weg wählen: „Ich rechne mit wenig Wider­stand, denn die aller­meis­ten wären ja froh, wenn die Daten gespei­chert werden.“

Er verweist auf Öster­reich, wo nur etwa drei Prozent der Einfüh­rung der elektro­ni­schen Patien­ten­akte wider­spro­chen hätten, 97 Prozent hätten mitge­zo­gen. Eine aktuelle Civey-Umfrage im Auftrag von Tages­spie­gel Background ergab aller­dings, dass nur jeder Zweite der Daten­wei­ter­gabe zustim­men würde.

Das geplante Opt-out-Modell hatte der Bundes­be­auf­tragte für den Daten­schutz und die Informations­freiheit (BfDI), Ulrich Kelber als daten­schutz­recht­lich ge­nerell möglich abgeseg­net. Derzeit lägen aller­dings noch keine konkre­ten Umset­zungs­pläne seitens des Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­ums vor.

Eine ausführ­li­che Stellung­nahme werde man abgeben, sobald ein Gesetz­ent­wurf vom Bundes­ka­bi­nett beschlos­sen sei. Abzuwar­ten sei aus Sicht des Daten­schut­zes die „Reali­tät der Ausübung“ vorhan­de­ner Rechte der Versi­cher­ten.

Welche Vorteile hat die elektro­ni­sche Patien­ten­akte?

Die elektro­ni­sche Patien­ten­akte soll den Infor­ma­ti­ons­aus­tausch zwischen Versi­cher­ten, Arztpra­xen, Apothe­ken und Klini­ken verein­fa­chen, was beson­ders Menschen mit vielen oder chroni­schen Krank­hei­ten das Leben leich­ter machen würde.

In ihr sollen alle Gesund­heits­do­ku­mente wie zum Beispiel Kranken­ge­schichte, Befunde, Diagno­sen, Labor­werte, Röntgen­bil­der und Medika­ti­ons­pläne gespei­chert. So sind die Infor­ma­tio­nen etwa bei einem Arztwech­sel oder dem Einho­len einer Zweit­mei­nung leicht zugäng­lich und auf dem Smart­phone immer dabei.

Darüber hinaus können die Versi­cher­ten selbst für sie wichtige Gesund­heits­da­ten speichern, zum Beispiel in Form von Gesund­heits­ta­ge­bü­chern (wie Verlaufs­werte zum Peak Flow oder Blutzu­cker), Kontakt­da­ten von Ärzten und Perso­nen, die im Notfall benach­rich­tigt werden sollen.

Auch ein Notfall­da­ten­satz mit Infor­ma­tio­nen zu Aller­gien, Blutgruppe oder chroni­schen Krank­hei­ten kann angelegt werden. Rezepte und Überwei­sun­gen sollen ebenfalls in elektro­ni­scher Form ausge­stellt werden. Darüber hinaus ist eine Erinne­rungs­funk­tion für fällige Vorsor­ge­un­ter­su­chun­gen und Impfun­gen geplant.

Wer welche Infor­ma­tio­nen einse­hen kann, legt die versi­cherte Person selbst fest. Jedes Dokument kann dabei indivi­du­ell freige­schal­tet werden, so dass jede Praxis nur die Daten einse­hen kann, die der Patient freige­ge­ben hat. Auch eine Löschung von Daten ist möglich.

Ist die elektro­ni­sche Patien­ten­akte sicher?

Das Regis­trie­rungs­ver­fah­ren für die elektro­ni­sche Patien­ten­akte ist kompli­ziert. Um die stren­gen Daten­schutz­an­for­de­run­gen für Gesund­heits­da­ten zu erfül­len, genügt es nicht, eine App aufs Handy zu laden und dort ein Benut­zer­konto anzule­gen.

Für die Freischal­tung muss man sich zusätz­lich bei der Kranken­kasse identi­fi­zie­ren – persön­lich in der Geschäfts­stelle oder in einem Online-Identi­fi­ka­ti­ons­ver­fah­ren, für das man den Perso­nal­aus­weis mit der Handy­ka­mera fotogra­fie­ren muss. Das schreckt gerade wenig technik­af­fine Menschen ab.

Hier zeigt sich ein Parado­xon des stren­gen Daten­schut­zes: Wenn man sensi­ble Gesund­heits­da­ten bestmög­lich schüt­zen will, braucht man kompli­zierte Regis­trie­rungs- und Zugriffs­pro­zesse – das schließt aber vor allem viele ältere Menschen aus, insbe­son­dere, da die Nutzung ein Smart­phone voraus­setzt.

Daten­schüt­zer befürch­ten trotz diesen Vorkeh­run­gen, dass Daten in falsche Hände gelan­gen könnten. Denn statt einem ursprüng­lich disku­tier­ten Vorschlag, alle Daten auf der Gesund­heits­karte zu hinter­le­gen, soll die Speiche­rung über private IT-Anbie­ter laufen, die einen Vertrag mit der jewei­li­gen Kranken­kasse geschlos­sen haben. So zum Beispiel das Unter­neh­men IBM, das mit der Barmer zusam­men­ar­bei­tet.

Der Zugriff auf die Daten erfolgt wiederum über die Telema­tik­in­fra­struk­tur, ein in sich geschlos­se­nes Netz, dass von der Firma Gematik in Zusam­men­ar­beit mit Arvato Systems betrie­ben wird. Trotz hoher Sicher­heits­auf­la­gen für die Betrei­ber ist das System nicht unfehl­bar: Im Juli 2023 wurde bekannt, dass circa 116.000 Arbeits­un­fä­hig­keits­be­nach­rich­ti­gun­gen durch einen Software­feh­ler statt an die AOK an eine Arztpra­xis geschickt wurden.

Fehler­an­fäl­lig sind IT-Systeme leider auch durch die Nutzer selbst. Wie die Verbrau­cher­zen­trale auf ihrer Infor­ma­ti­ons­seite zur elektro­ni­schen Patien­ten­akte schreibt: „Um bestmög­li­che Daten­si­cher­heit zu gewähr­leis­ten, kommt es aber auch darauf an, dass Sie die Sicher­heits­up­dates Ihres Handys regel­mä­ßig durch­füh­ren. Zudem ist es erfor­der­lich, dass in den Arztpra­xen ein hoher Daten­si­cher­heits­stan­dard bei der eigenen EDV einge­hal­ten wird.“

Wie gut sind die Versi­cher­ten infor­miert?

Um die Akzep­tanz der elektro­ni­schen Patien­ten­akte zu steigern, ist aber nicht nur der Daten­schutz wichtig. Vielen Menschen fehlt es noch an Infor­ma­tio­nen darüber, wie sie funktio­nie­ren soll. Laut einer aktuel­len Studie der Ruhr Univer­si­tät Bochum (RUB) gibt es noch viele Missver­ständ­nisse, beson­ders im Hinblick darauf, wer Zugriff auf die hinter­leg­ten Infor­ma­tio­nen hat.

Viele Befragte gingen beispiels­weise davon aus, dass alle Arztpra­xen automa­tisch die Daten in ihrer Akte einse­hen können oder dass Kranken­kas­sen durch die Apps, die sie zur Verfü­gung stellen, mehr Daten sehen könnten als ohne digitale Akte.

„Aus Sicher­heits­per­spek­tive wäre es besser, eine zentrale Open-Source-App in Deutsch­land anzubie­ten, die alle Versi­cher­ten nutzen können“, so Prof. Dr. Karola Marky. „Das würde für mehr Vertrauen sorgen, einen einheit­li­chen Sicher­heits­stan­dard garan­tie­ren und auch den Wartungs­auf­wand reduzie­ren.“

Außer­dem fordern die Forschen­den der RUB, dass der Zugriff auf die Akte auch über Desktop-Anwen­dun­gen möglich sein sollte, sodass Menschen ohne Smart­phone die Dienste ebenfalls nutzen können.