Eine ambulante Altenpflegerin verletzte ihre vertraglichen Haupt- und Nebenpflichten mehrfach. Sie hatte den Besuch bei einer Patientin eingetragen, obwohl sie lediglich mit ihr telefoniert hatte, woraufhin ihr Arbeitgeber die Konsequenz zog und ihr fristlos kündigte. Die Pflegerin wehrt sich vor dem Arbeitsgericht Siegburg. Stellt eine falsche Dokumentation von Arbeitszeit und Arbeitsleistungen tatsächlich einen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar?
Fristlose Kündigung wegen unterlassenen Arbeitsanweisungen
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung. Die Klägerin wurde im Zeitraum vom 7. Oktober 2013 bis zum 6. Oktober 2016 bei der Beklagten zur Altenpflegerin ausgebildet. Seither ist sie dort im ambulanten Außendienst tätig. Die Beklagte beschäftigt mehr als zehn Mitarbeiter in Vollzeit.
Am 6. November 2018 erhielt die Klägerin eine Ermahnung aufgrund fehlender Uhrzeitangaben und Unterschriften in Leistungsnachweisen der Klägerin. Am 17. Dezember 2018 wurde sie letztlich abgemahnt, da sie eine Patientin, die sie am 8. und 9. Dezember 2018 im Spätdienst betreuen sollte, nicht versorgt habe. Die Klägerin rechtfertigte ihr Verhalten damit, dass sie zwar vor Ort war, die Patientin ihr jedoch die Tür nicht öffnete. Die Anweisungen der Beklagten, wonach sie in diesem Fall zunächst die Patientin und die Pflegedienstleitung hätte anrufen sollen, wurden nicht befolgt.
Am 2. April 2019 verzichtete die Klägerin erneut auf den Besuch bei einer Patientin, der sie am späten Abend die Nachttablette hätte geben sollen. Sie tätigte stattdessen einen Anruf bei der Patientin, die sie am früheren Abend bereits aufgesucht und ihr die Tablette bereitgelegt hatte. Dennoch unterzeichnete sie den Leistungsnachweis für den nächtlichen Besuch und gab dabei einen Versorgungszeitraum von 22:55 Uhr bis 23:06 Uhr an. Die Patientin nahm die Tablette jedoch nicht ein. Die darauffolgende Schicht fand die Tablette vor und benachrichtigte die Beklagte, dass die Patientin am Vorabend lediglich mit der Klägerin telefoniert hatte.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis daraufhin mit Schreiben vom 5. April 2019 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2019. Gegen die Kündigung wendet sich die Altenpflegerin mit einer Klage vor dem Arbeitsgericht Siegburg. Bei der Patientin, die sie Anfang Dezember 2018 aufsuchen sollte, öffnete ihr nach eigener Aussage niemand die Tür. Die Patientin sei dazu telefonisch nicht erreichbar gewesen. Die Pflegedienstleitung wurde zudem nicht kontaktiert, da diese zuletzt durch Anrufe eher gestört worden sei. Bei der am 2. April 2019 zu betreuenden Patientin habe die Klägerin die Anweisung erhalten, die Wohnung der Patientin nicht zu betreten, wenn diese bereits schlafen sollte. Bei ihrem Besuch am frühen Abend habe sie bereits absehen können, dass die Patientin nach 23:00 bereits im Bett liegen würde. Sie habe die Tablette deshalb bereitgelegt und die Patientin per Telefon an die Einnahme erinnert.
Die Pflegerin beantragt die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis weder durch fristlose noch durch ordentliche Kündigung beendet wird.
Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung
Die sofortige Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses ist dann rechtens, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung der vorliegenden Tatsachen und unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder zur verabredeten Beendigung nicht mehr zugemutet werden kann.
Laut Gesetz gibt es folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Jeder Einzelfall muss gesondert beurteilt werden. Zunächst wird dabei geprüft, ob der Tatbestand „an sich“ einen Kündigungsgrund darstellt. Erst dann gilt es abzuwägen, ob eine Fortsetzung der Beschäftigung weiterhin tragbar ist. Dabei ist das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Verhältnisses mit dem Willen des Arbeitnehmers, um dessen Fortsetzung unter Betrachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gegeneinander abzuwägen.
Nicht nur die Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten stellt dabei einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar, sondern auch die schuldhafte Missachtung von Nebenpflichten. Normalerweise ist jedoch die ordnungsgemäße Kündigung die angemessene Reaktion auf die Verletzung einer solchen Nebenpflicht. Steht dagegen eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Raum, so kommt diese nur dann in Betracht, wenn jene Nebenpflichtverletzung durch erschwerende Umstände stärker gewichtet wird und wenn es keinen angemessenen Weg zur Fortführung der Beschäftigung gibt, da mildere Sanktionen (Abmahnung, ordentliche Kündigung) für den Arbeitgeber unzumutbar wären.
Bei der Frage ob der Wirksamkeit einer Kündigung gilt das Prognoseprinzip. Zweck einer verhaltensbedingten Kündigung, wie in diesem Fall, ist nicht die Sanktionierung des Arbeitnehmers, sondern die Absicht, zukünftige Pflichtverstöße zu vermeiden. Beruht die Vertragspflichtverletzung des Arbeitnehmers auf dessen bewusstem Verhalten, so ist anzunehmen, dass sich sein künftiges Verhalten durch Ermahnungen positiv verändert.
In diesem Fall ist ein milderes Mittel der Sanktionierung zu wählen, eine Kündigung wäre hierbei nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht gerechtfertigt. Kündigungen, egal ob ordentlich oder außerordentlich, setzen daher zur objektiven Prognose des künftigen Verhaltens regelmäßig eine Abmahnung voraus. Widersetzt sich der Arbeitnehmer trotz dieser seinen Pflichten, so ist davon auszugehen, dass dieser auch in Zukunft durch Pflichtverletzungen negativ auffallen kann. Eine fristlose Kündigung kann demnach berechtigt sein, wenn trotz Abmahnung keine Verbesserung des Verhaltens anzunehmen oder die Hinnahme der Geschehnisse für den Arbeitgeber nicht zumutbar ist.
Fortführung der Beschäftigung durch Vertrauensverletzung nicht zumutbar
Das Arbeitsgericht Siegburg hat die Klage als unbegründet abgewiesen (ArbG Siegburg vom 7.8.2019 – 3 Ca 992/19). Das Arbeitsverhältnis ist durch die fristlose Kündigung aufgelöst worden. Der Arbeitgeber muss grundsätzlich auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit des Arbeitnehmers vertrauen können. Überträgt er die Dokumentation an die Arbeitnehmer, so stellt ein solcher Missbrauch eine erhebliche Vertrauensverletzung dar. Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Pflicht, die geleistete, vom Arbeitgeber nicht zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, stellt an sich >einen wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung
Die Klägerin verletze ihre Hauptpflicht, indem sie am 2.4.2019 trotz vorgegangener Abmahnung eines ähnlichen Fehlverhaltens wiederholt eine Arbeitsanweisung nicht befolgte, da sie die Patientin nicht versorgt und die dazugehörigen Dienstanweisungen bzgl. der Dokumentation und des zu tätigenden Anrufs bei der Pflegedienstleitung nicht beachtet hat. Es spricht vieles dafür, dass für die Patientin nicht nur die Einnahme der Tablette notwendig war, sondern sie dabei zudem die Hilfestellung einer Pflegekraft benötigte und dem eine ärztliche Verordnung zugrunde lag. Zudem hat sie ihre Arbeitszeit beziehungsweise Arbeitsleistungen nicht richtig dokumentiert, indem sie falsche Zeitangaben zur Versorgung der Patientin gemacht und dazu die Pflegedokumentation bereits zuvor ohne Erbringung der Leistung abgezeichnet hatte.
Entscheidend ist die grundlegende Vertrauensverletzung seitens der Klägerin gegenüber ihres Arbeitgebers. Sie hatte unter Inkaufnahme gesundheitlicher Risiken eine Patientin unversorgt gelassen und zudem falsche Angaben über die von ihr für die Beklagte erbrachten Pflegeleistungen getätigt. Letzteres hätte bei Nichtentdeckung ihres Vorgehens eine fehlerhafte Pflegedokumentation und ggf. eine falsche Abrechnung der Leistung durch die Beklagte zur Folge gehabt. Die Klägerin setzte zudem den Ruf der Beklagten aufs Spiel, da diese des Abrechnungsbetrugs hätte verdächtigt werden können. Das Fehlverhalten der Altenpflegerin ist demnach so schwerwiegend, dass diese nicht damit rechnen konnte, dass die Beklagte ihr Verhalten toleriert.
Auch unter Berücksichtigung der Umstände dieses Einzelfalls ist das Verhalten der Klägerin rechtfertigend für eine außerordentliche Kündigung. Zwar ist die Klägerin unter Hinzunahme des Berufsausbildungsverhältnisses bereits seit fünfeinhalb Jahren bei der Beklagten beschäftigt gewesen. Jedoch hat sie innerhalb weniger Monate zweimal Arbeitsanweisungen bewusst missachtet. Die Beklagte mahnte den ersten Verstoß im Dezember 2018 noch ab, da es sich, nach Angaben der Klägerin, lediglich um einen nicht getätigten Anruf bei der Pflegedienstleitung handelte, obwohl dieser eben auch dazu dient, die getätigten Pflegeleistungen richtig zu dokumentieren. Bei dem für die Kündigung ausschlaggebenden Fehlverhalten der Klägerin ist diese trotz Abmahnung noch einen Schritt weiter gegangen und hat die Pflegeleistungen bewusst falsch dokumentiert. Dies tat sie bereits beim ersten Besuch der Patientin am frühen Abend, sodass ein Augenblicksversagen ausgeschlossen und ein vorsätzliches Handeln offenbart werden konnte.
Soweit sie sich auf eine Weisung beruft, die Patientin nicht mehr aufzusuchen, wenn diese schläft, hat die Klägerin außerdem nicht darlegen können, von wem diese Weisung ausging. Ferner konnte die Altenpflegerin keine Angaben zu alternativen Verhaltensweisen und deren Einhaltung in einer solchen Situation machen. Es muss demnach davon ausgegangen werden, dass eine solche Weisung nicht existiert. Selbst wenn es diese doch gäbe, sei es trotzdem nicht nachvollziehbar, warum die Klägerin schon beim ersten Besuch der Patientin davon ausgegangen ist, dass diese zum Zeitpunkt des zweitens Aufsuchens bereits schlafen würde.
Eine derart planmäßige, die Interessen der Beklagten völlig missachtende Verletzung der vertraglichen Pflichten, macht eine Weiterbeschäftigung der Klägerin bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist, auch unter Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit, für die Beklagte unzumutbar. Die Klage war mithin, da auch die Frist des § 626 Absatz 2 BGB ersichtlich gewahrt wurde, voll und ganz abzuweisen.
Hinweis: Die Dokumentation von tatsächlich nicht erbrachter Pflegeleistungen kann als Abrechnungs- und Arbeitszeitbetrug im Sinne von § 263 StGB und als Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB gewertet werden.
Quelle: ArbG Siegburg vom 7. August 2019 – 3 Ca 992/19 = RDG 2020, S. 18 ff.