Nach dem Beschluss des Landtags, eine Pflegekammer in NRW zu errichten, ist die Freude bei den Befürwortern einer Berufsvertretung für die Pflege naturgemäß groß. „Das ist ein historischer Tag für die Pflegeberufe in Nordrhein-Westfalen“, resümiert kurz und feierlich der Förderverein Pflegekammer NRW, der bereits seit seiner Gründung 1997 auf diesen Schritt hingewirkt hatte.
Auch der Pflegeberufeverband DBfK ist erleichtert. „Mit der Pflegeberufekammer bekommen wir das notwendige Instrument, um unseren Heilberuf selbstbestimmt zu gestalten und zu entwickeln. Das ist ein wichtiges Signal an die Pflegefachpersonen in NRW und darüber hinaus: Die Emanzipation des Pflegeberufs und die politische Partizipation der bedeutendsten Berufsgruppe im Gesundheitswesen schreitet voran und ist nicht aufzuhalten“, so der DBfK-Nordwest-Vorsitzende Martin Dichter.
Der Deutsche Pflegerat (DPR) jubiliert ebenso. „Dies ist ein großer Tag für die Profession Pflege in NRW“, freute sich Christine Vogler, Vize-Präsidentin des DPR. „20 Jahre politische Überzeugungsarbeit pro Pflegekammer fanden in der Minute einen erfolgreichen Abschluss dieser elementaren Etappe“, so auch Ludger Risse, Vorsitzender des Pflegerates NRW, einem Zusammenschluss der Pflegeberufsverbände und Pflegeorganisationen im Land.
„Keine Kammer nötig, sondern mehr Personal“
Der Bundesverband für freie Kammern, der sich generell gegen Berufs- und Branchenvertretungen mit Pflichtmitgliedschaft wendet, sieht die Entscheidung ebenfalls als gefallen an. „Bei nüchterner Betrachtungsweise führt kein Weg an der Einsicht vorbei, dass die Errichtung einer Pflegekammer mit Mitglieds- und Beitragszwang in Nordrhein-Westfalen zunächst nicht mehr aufzuhalten ist“, heißt es beim Verein. Weiter verweist man warnend auf Schleswig-Holstein und Niedersachsen, wo es erhebliche Proteste gegen Pflichtmitgliedschaften und ‑Gebühren gegeben habe. „In Schleswig-Holstein und Niedersachsen waren und sind die Proteste so wirkmächtig und flächendeckend, dass die Kammern am Ende scheinen, bevor sie richtig den Betrieb aufgenommen haben.“ Auch die Gewerkschaft ver.di hatte vor der Pflegekammer gewarnt. „Die Pflege in NRW braucht keine Kammer, sondern mehr Personal“, kritisiert man dort. Auch bei Tarifverhandlungen sitze sie schließlich nicht mit am Tisch. Dennoch werde man das Gremium, wenn es einmal da wäre, konstruktiv begleiten.
Die Pflegekammer in NRW wurde am 24. Juni mit den Stimmen von CDU, FDP und Bündnis 90/Grünen mehrheitlich beschlossen. Die SPD stimmte dagegen; sie sah in der Kammer ein „Bürokratiemonster“, das nicht dabei helfen könne, Arbeitsbedingungen und Löhne zu verbessern. Es gibt in NRW rund 200.000 hauptamtlich Pflegende; damit wird die Landespflegekammer – entsprechend der hohen Einwohnerzahl des Bundeslandes – gleichzeitig die größte Deutschlands.
FAQ
Woher kam die Initiative, die Pflegekammer zu errichten?
In NRW verfolgt seit 1997 der Förderverein Pflegekammer das Ziel, eine solche Berufsvertretung zu errichten. In den anderen Bundesländern gibt es ähnliche Vereine und Initiativen. Eine vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) unterstützte Online-Petition fand bis September 2015 mehr als 42.300 Unterstützer.
Richtig konkret wurde das Vorhaben in NRW, als die 2017 neu gewählte CDU/FDP-Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag eine Befragung der Pflegenden vereinbarte, mit dem Versprechen, dem Resultat entsprechend zu handeln. Von Oktober bis November 2018 fand die repräsentative Befragung unter rund 1.500 Pflegenden statt; sie lieferte eine 79-prozentige Zustimmung zur Kammer-Errichtung.
Was sind die Ziele einer Pflegekammer?
Eine Pflegekammer hat – salopp gesagt – das Ziel, dass die Pflegekräfte die Entwicklung ihrer Branche selbst in die Hand nehmen, statt wie bisher nur ein „Anhängsel“, etwa der Krankenhausmedizin oder der Heimwirtschaft, zu sein. Sie soll durch die Entwicklung von Standards die Qualität der Pflege sowie eine gute Berufsausübung sichern und Angebote zur Fort- und Weiterbildung definieren. Zudem ist sie eine gemeinsame Stimme der Pflegekräfte im politischen Entscheidungsprozess, wodurch sie dazu beitragen kann, die Bedingungen in der Pflege zu verbessern. Darüber hinaus kann sie pflegerische Gutachten erstellen.
Weitere Aufgaben können sich aus aktuellem Anlass ergeben: Beispielsweise hat in Niedersachsen die dortige Landespflegekammer eine Ethik-Kommission für die Pflege gegründet, einen genauen Lagebericht zur Pflegebranche im Bundesland geliefert oder auch das Freiwilligenregister für Corona-Hilfskräfte geschaffen. Letzteres haben auch die beiden Kammern in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein für ihr jeweiliges Land geleistet.
Wie ist der weitere Zeitplan in NRW?
Nach dem Landtagsbeschluss wird das Arbeits‑, Gesundheits- und Sozialministerium jeweils 20 Mitglieder sowie Stellvertreter in den Errichtungsausschuss für die Pflegekammer bestellen. Sie schlagen die Fachverbände und Gewerkschaften vor. Dieser Ausschuss hat die Aufgabe, die Satzungen auszuarbeiten sowie eine Geschäftsstelle samt Ausstattung einzurichten, um schließlich zur konstituierenden Sitzung einladen zu können. Die erste Kammerversammlung soll 2022 stattfinden. Für die Zeit bis zur Einrichtung stellt das Land NRW der sich gründenden Pflegekammer ein Startbudget von fünf Millionen Euro zur Verfügung.
Ist die Mitgliedschaft in einer Pflegekammer freiwillig?
Gemäß dem klassischen Modell einer Pflegekammer, oder generell einer Berufekammer – die ja ein Selbstverwaltungs-Organ des jeweiligen Berufsfeldes sein soll –, sind alle in der Pflege beschäftigten Fachkräfte automatisch Pflichtmitglieder. Sie sind damit auch beitragspflichtig, sofern dies beschlossen wird. Darüber hinaus ist es jedoch beispielsweise für Auszubildende, Rentner oder Hilfskräfte möglich, zu einem reduzierten Jahresbeitrag freiwilliges Mitglied zu werden. Komplett auf freiwillige Mitgliedschaften setzt dagegen ein Pflegering, wie es ihn seit 2017 in Bayern gibt.
Was kostet die Mitgliedschaft in der Pflegekammer?
Das ist von Land zu Land unterschiedlich: In Niedersachsen werden die Beträge für die Landespflegekammer aufgrund eines Ende 2019 gefallenen Entscheids der Landesregierung aus der Landeskasse übernommen, auch rückwirkend. Für die Pflegekräfte ist die Mitgliedschaft also beitragsfrei. Zuvor galt dort ein Beitragssatz von 0,4 Prozent vom Jahres-Bruttoeinkommen.
In Rheinland-Pfalz gibt es, abgestuft nach dem Brutto-Monatseinkommen aus Pflegetätigkeiten, sieben Beitragsklassen – von 30 Euro im Jahr für Monatseinkommen bis 500 Euro, bis zu 300 Euro für Monatseinkommen über 5.500 Euro. In Schleswig-Holstein ist die Mitgliedschaft etwas günstiger als in Rheinland-Pfalz. Hier gibt es 14 Einkommensklassen – von 17 Euro (Jahresbrutto bis zu 5.500 Euro) bis zu 238 Euro (Einkommen über 65.000 Euro).
Bezüglich der Pflegekammer in NRW ist das zukünftige Berechnungsmodell, und damit die Höhe des jährlichen Beitrags, noch völlig offen. Sollte es aber zu einer Beitragspflicht kommen, wäre ungefähr ein halbes Prozent vom Einkommens-Brutto ein grober Richtwert, worauf sich die Mitglieder einstellen können.
In welchen Bundesländern gibt es Pflegekammern ebenfalls, und wo sind sie in Vorbereitung?
Bisher gibt es in Rheinland-Pfalz (seit 1. Januar 2016), Schleswig-Holstein (konstituierende Sitzung am 21. März 2018) und Niedersachsen (konstituierende Sitzung am 8. August 2018) Landespflegekammern. Neben NRW ist auch in Baden-Württemberg eine Pflegekammer in konkreter Vorbereitung. Dort steht die Landesregierung hinter dem Verfahren und will in nächster Zeit entsprechende Gesetzesentwürfe einbringen. Baden-Württemberg wird also mit hoher Wahrscheinlichkeit das fünfte Bundesland mit einer Landespflegekammer sein.
In mehreren Bundesländern gibt es dagegen ein „Hin und Her“ ohne klare Tendenz: In Hamburg soll demnächst laut der rot-grünen Landesregierung eine weitere Befragung der Pflegekräfte stattfinden, ob sie solch eine Kammer wollen – eine erste gab es 2013, mit negativem Votum. In Mecklenburg-Vorpommern fand eine solche bereits 2014 statt, hier mit deutlich positivem Ergebnis. Momentan gibt es jedoch keine konkrete Initiative, eine Pflegekammer im Bundesland einzurichten – zunächst will die Landesregierung abwarten, wie sich die übrigen Landespflegekammern entwickeln. Ganz ähnlich sieht die Situation in Berlin aus.
Der Freistaat Bayern hat seit 24. Oktober 2017 einen Pflegering – die „Vereinigung der Pflegenden in Bayern“ – als Alternativmodell zur Pflegekammer geschaffen, bei dem die Mitgliedschaft freiwillig und beitragsfrei ist. Sie finanziert sich vor allem durch Landesmittel.
In Bremen, dem Saarland, in Hessen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen wird das Projekt einer Landespflegekammer derzeit nicht mehr weiter verfolgt.