Jürgen Hardt fragt: Die Versor­gung unserer Patien­ten mit den ärztlich verord­ne­ten Hilfs­mit­teln erfolgt nicht immer so wie sie sollte. In vielen Fällen werden rezep­tierte Prothe­sen oder andere ortho­pä­di­sche Hilfs­mit­tel durch überlange MDK-Prüfun­gen den Patien­ten verzö­gert oder durch einen ableh­nen­den Bescheid der Kranken­kasse der mitun­ter auf einer inhalt­lich falschen Stellung­nahme des MDK beruht, gar nicht zur Verfü­gung gestellt. Stellt das nicht einen Eingriff in die ärztli­che Thera­pie­frei­heit dar und wer haftet, wenn der Patient durch die Verzö­ge­rung oder Vorent­hal­tung einen Schaden erlei­det?

Antwort der Redak­tion: Versi­cherte haben gemäß § 33 Absatz 1 SGB V einen Anspruch auf Versor­gung mit ortho­pä­di­schen und anderen Hilfs­mit­teln, die im Einzel­fall erfor­der­lich sind, um den Erfolg der Kranken­be­hand­lung zu sichern, einer drohen­den Behin­de­rung vorzu­beu­gen oder eine Behin­de­rung auszu­glei­chen. Dieser Anspruch wird auf der Grund­lage einer freien ärztli­chen Thera­pie­ent­schei­dung durch die Verord­nung konkre­ti­siert.

Im Rahmen der Behand­lung von gesetz­lich versi­cher­ten Patien­ten sind die Ärzte in der Ausübung ihrer Thera­pie­frei­heit aller­dings zugleich auch an das Wirtschaft­lich­keits­ge­bot gebun­den. Das heißt die Leistun­gen müssen ausrei­chend, zweck­mä­ßig und wirtschaft­lich sein und dürfen das Maß des Notwen­di­gen nicht überschrei­tet (§ 12 Absatz 1 SGB V). Die Prüfung dieser Krite­rien obliegt der Kranken­kasse, die den Sachver­halt gemäß § 20 SGB X unter Berück­sich­ti­gung aller für den Einzel­fall bedeut­sa­men Umstände von Amts wegen zu ermit­teln hat. Aller­dings ist die Kranken­kasse nicht zu einer origi­nä­ren Beurtei­lung des medizi­ni­schen Sachver­halts verpflich­tet. Sie genügt ihrer Pflicht zur Sachver­halts­er­mitt­lung auch dann, wenn sie den Medizi­ni­schen Dienst der Kranken­kas­sen – so die in § 275 Absatz 3 Nummer 1 SGB V normierte Option – mit der Prüfung beauf­tragt, ob das Hilfs­mit­tel im Sinne des § 33 Absatz 1 Satz 1 SGB V erfor­der­lich ist. Beschrei­tet die gesetz­li­che Kranken­kasse diesen Weg, ist sie für Fehler des Medizi­ni­schen Diens­tes in der Beurtei­lung der Erfor­der­lich­keit nur dann verant­wort­lich, wenn das Gutach­ten Anhalts­punkte für offen­sicht­li­che Unrich­tig­kei­ten, Lücken oder Missver­ständ­nisse des Gutach­ters liefert (vgl. LG Ellwan­gen, Az.: 3 O 97/08).

Unter­halb dieser Schwelle findet die Zurech­nung einer vom Medizi­ni­schen Dienst zu verant­wor­ten­den Fehlbe­gut­ach­tung an die Kranken­kasse nicht statt, da der Medizi­ni­sche Dienst weder als Organ noch als Vertre­ter oder Erfül­lungs­ge­hil­fen der Kranken­kas­sen auftritt, weshalb ein eventu­el­les Verschul­den des Medizi­ni­schen Diens­tes der Kranken­kasse nicht zurechen­bar ist. Zu beach­ten sind in diesem Zusam­men­hang jedoch auch die abseh­ba­ren Verän­de­run­gen, die das Patien­ten­rech­te­ge­setz birgt. § 13a SGB V setzt dem Geneh­mi­gungs­pro­zess der Kranken­kas­sen enge zeitli­che Grenzen; werden diese überschrit­ten und erlei­det der Patient hierdurch einen Schaden kann die Inter­pre­ta­tion von § 13a SGB V als Schutz­ge­setz im Sinne von § 823 Absatz 2 BGB gegen­über der Kranken­kasse schadens­er­satz­be­grün­dend sein.

Abseits dessen kommt jedoch eine Haftung des Medizi­ni­schen Diens­tes für die Folgen einer falschen Stellung­nahme in Frage. Der Bundes­ge­richts­hof erkennt jeden­falls dem Grunde nach einen Anspruch des Patien­ten auf Schadens­er­satz wegen Amtspflicht­ver­let­zung gemäß § 839 BGB in Verbin­dung mit Artikel 34 Satz 1 GG an, wenn dessen unsorg­fäl­tige Begut­ach­tungs­pra­xis zu einer Verzö­ge­rung der Heilbe­hand­lung oder zu sonsti­gen gesund­heit­li­chen Schäden beim Patien­ten führte (BGH vom 22. Juni 2006 – III ZR 270/05 = RDG 2006, S. 159 f.).

Soweit der Medizi­ni­sche Dienst der Kranken­kas­sen abwei­chend vom wissen­schaft­li­chen Standard der jewei­li­gen Behand­lungs­me­thode versu­chen sollte, die Thera­pie- und Metho­den­wahl­frei­heit zu beein­flus­sen, sollte dem mit Entschlos­sen­heit entge­gen­ge­wirkt werden. Insbe­son­dere, wenn Entschei­dun­gen erkenn­bar nur nach Akten­lage getrof­fen worden sind, sollte die Sachver­halts­er­for­schung einer genauen Überprü­fung unter­zo­gen werden. Günsti­ger­weise wirken dabei die betrof­fe­nen Patien­ten, Ärzte und Pflege­ein­rich­tun­gen einver­nehm­lich zusam­men. Zur Bestim­mung des maßgeb­li­chen Standards für die jewei­lige Versor­gungs­maß­nahme können die in großer Zahl vorhan­de­nen Leitli­nien der Fachge­sell­schaf­ten oder die Exper­ten­stan­dards in der Pflege dienen, soweit dort Aussa­gen über die Beschaf­fen­heit der einzu­set­zen­den Hilfs­mit­tel gemacht werden.