Dauerhafter Haarverlust als Risiko der Chemotherapie
Die Ärzte hätten über die Möglich­keit eines dauer­haf­ten Haarver­lus­tes infolge der Chemo­the­ra­pie aufklä­ren müssen, so das OLG Köln. Bild: Carolannefreeling/Dreamstime.com

Die klagende Patien­tin hatte sich wegen Brust­krebs im Herbst 2007 in einem Kranken­haus operie­ren lassen. Die anschlie­ßende Chemo­the­ra­pie führten die behan­deln­den Ärzteim Rahmen der ARA plus-Studie durch, bei der bei der alle Teilneh­mer eine Chemo­the­ra­pie nach dem TAC-Schema (Taxotere, Adriablas­tin, Cyclo­phos­pha­mid) erhiel­ten und ein Teil zusätz­lich mit dem Medika­ment Darbe­poe­tin behan­delt wurde, welches die Bildung von roten Blutkör­per­chen stimu­liert.

Nach der Behand­lung trat bei der Kläge­rin ein dauer­haf­ter Haarver­lust auf. Körper­be­haa­rung, Wimpern und Augen­brauen fehlen seitdem fast vollstän­dig. Das Kopfhaar wächst nur teilweise nach. Über dieses Risiko hatten die Ärzte die Kläge­rin nicht aufge­klärt, so der Vorwurf der Patien­tin.

Das Landge­richt Köln hatte mit Urteil vom 9. April 2014 (Az.: 25 O 290/11) das Klage­be­geh­ren der Frau abgewie­sen. Es war der Auffas­sung, dass es zum Behand­lungs­zeit­punkt keine ausrei­chen­den Anhalts­punkte für das Risiko eines dauer­haf­ten Haarver­lusts gegeben habe.

Das OLG Köln hat dagegen die Situa­tion anders bewer­tet und der Klage statt­ge­ge­ben.

Studie zeigte Möglich­keit für einen dauer­haf­ten Haarver­lust auf

Nach Auffas­sung des Kölner Oberlan­des­ge­richts hat nach den vom Herstel­ler zum Behand­lungs­zeit­punkt (2007/2008) veröf­fent­lich­ten Fachin­for­ma­tio­nen für Ärzte die Gefahr bestan­den, dass als Folge des Medika­ments Taxotere ein dauer­haf­ter Haaraus­fall eintre­ten würde. Im Rahmen einer Studie hätte sich bei einer mittle­ren Nachbe­ob­ach­tungs­zeit von 55 Monaten bei 3,2 Prozent der Patien­tin­nen dauer­haf­ter Haaraus­fall einge­stellt. Auf dieser Grund­lage sei die Kläge­rin vor Einlei­tung der Chemo­the­ra­pie fehler­haft aufge­klärt worden.

Nach dem Erkennt­nis­stand, der für einen sorgfäl­ti­gen, senolo­gisch tätigen Gynäko­lo­gen bei Führung des Aufklä­rungs­ge­sprächs und Beginn der Chemo­the­ra­pie zu berück­sich­ti­gen war, hätte die Kläge­rin über das Risiko aufge­klärt werden müssen, dass bei Verwen­dung des Medika­ments ein dauer­haf­ter Haarver­lust eintre­ten konnte. Denn Patien­ten müssten vor einer ärztli­chen Behand­lungs­maß­nahme „im Großen und Ganzen“ wissen, worauf sie sich einlas­sen.

Über das Risiko eines dauer­haf­ten Haarver­lusts sei auch dann aufzu­klä­ren, wenn es sich selten verwirk­li­che. Die Kompli­ka­tion würde, sofern sie eintritt, Patien­ten meist schwer belas­ten und daher für die Entschei­dung für oder gegen eine Behand­lung Bedeu­tung haben.

Entschei­dungs­kon­flikt im Fall einer vollstän­di­gen Aufklä­rung möglich

Ohne Erfolg blieb der – grund­sätz­lich zuläs­sige – Einwand des Kranken­hau­ses, dass sich die Patien­tin auch bei vollstän­di­ger Aufklä­rung für die Chemo­the­ra­pie mit dem Medika­ment entschie­den hätte. Das Oberlan­des­ge­richt hatte die Kläge­rin nachdrück­lich und lange befragt und es danach für plausi­bel gehal­ten, dass sie sich im Fall einer vollstän­di­gen Aufklä­rung in einem sogenann­ten „echten Entschei­dungs­kon­flikt“ befun­den hätte. Es sei nicht sicher, dass sich die Patien­tin bei der Abwägung zwischen einer abstrak­ten höheren Überle­bens­wahr­schein­lich­keit mit dem Medika­ment und dem gerin­gen aber konkre­ten Risiko des dauer­haf­ten Haarver­lus­tes auch bei vollstän­di­ger Aufklä­rung für diese Thera­pie entschie­den hätte.

Bei der Höhe des Schmer­zens­gel­des hat das OLG Köln insbe­son­dere berück­sich­tigt, dass es bei der Kläge­rin zu erheb­li­chen und nachhal­ti­gen psychi­schen Folgen und seeli­schen Belas­tun­gen aufgrund des Haarver­lus­tes gekom­men ist.

In dem psych­ia­tri­schen Gutach­ten, welches in einem Verfah­ren nach dem Schwer­be­hin­der­ten­recht erstat­tet worden ist und gegen dessen Richtig­keit sich keine Beden­ken ergeben haben, ist ein neuro­tisch-depres­si­ver Zustand der Kläge­rin diagnos­ti­ziert und im Rahmen des psychi­schen Befun­des ein zwang­haf­ter, auf Äußer­lich­kei­ten fixier­ter Eindruck der Minder­wer­tig­keit beschrie­ben. Anamnes­tisch hat die Kläge­rin gegen­über dem Sachver­stän­di­gen eine ständige Grübel­nei­gung, Schlaf­stö­run­gen, Nervo­si­tät, Angst, innere Unruhe, schwere Nachteils­emp­fin­dun­gen gegen­über anderen Frauen, einen Verlust der Sexua­li­tät sowie die Angst, ihren Mann zu verlie­ren, angege­ben. Dass die Kläge­rin unter dem Verlust ihrer Haare in erheb­li­chem Ausmaß leidet, ist auch in der mündli­chen Verhand­lung vor dem Senat zum Ausdruck gekom­men.

Die Revision gegen die Entschei­dung ist nicht zugelas­sen worden. Das Urteil vom 21. März 2016 (Az.: 5 U 76/14) ist damit nur mit der sogenann­ten Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde beim BGH angreif­bar.

Quelle: OLG Köln