Der im Jahr 1954 geborene Kläger, mit den anerkannten Merkzeichen G, B, aG, H und RF, leidet seit der Geburt an einer spastischen Tetraplegie mit Zerebralparese. Zudem ist sein linker Arm wegen einer chronischen Epicondylitis nur beschränkt gebrauchsfähig. Um sich fortzubewegen, ist er auf einen Rollstuhl angewiesen.
Mit einem Schreiben beantragte er beim zuständigen Bezirk als überörtlichem Sozialhilfeträger die Verlängerung der Bewilligung der Eingliederungshilfe. Das Besondere: Er möchte, dass auch wöchentlich zwei erotische Ganzkörpermassagen berücksichtigt werden. Als der Antrag abgelehnt wurde, ging der Kläger mit seinen Forderungen vor das Sozialgericht München. Das Gericht befand: Die Kosten für die Befriedigung sexueller Bedürfnisse sei bereits im Regelbedarf enthalten. Zudem könne der Kläger den Mehrbedarf wegen des Merkzeichens G verwenden und somit die Kosten decken.
Der Kläger erhob hiergegen erneut eine Klage; Die Kosten für zwei Ganzkörpermassagen zu jeweils 200 Euro pro Woche seien zu übernehmen. Das Sozialgericht wies die Klage erneut ab. Dagegen hat der Kläger Berufung vor dem Landessozialgericht in München eingelegt.
Doch auch die Berufung blieb erfolglos. Der Kläger hat keinen Anspuch auf (höhere) Leistungen der Grundsicherung unter Berücksichtigung von Kosten der gewünschten Ganzkörpermassagen. Nach Ansicht des Gerichts hat der beklagte Bezirk den Bedarf vielmehr treffend ermittelt (§ 44 Absatz 1 Satz 1 SGB X): Er hat den Regelbedarf nach Stufe 1 (374 Euro, ab 2013: 382 Euro und ab 2014: 391 Euro) berücksichtigt, den Aufstockungsbetrag von 19 bzw. 20 Euro gemäß der Regelsatzfestsetzungsverordnung, den Mehrbedarf aufgrund der Schwerbehinderung und des Merkzeichens G sowie die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung. Weitere Bedarfe gebe es nicht.
Auch Bundesministerium sieht Ausgaben für Prostitution als nicht regelbedarfsrelevant
Obwohl nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes auch die Kosten für Prostitution in den durchschnittlichen Ausgaben der privaten Haushalte ermittelt wurden, müsse der Gesetzgeber nicht automatisch jede Ausgabe als regelbedarfsrelevant einschätzen, erklärt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Auch nach Neuregelung der Bedarfe nach der Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS) 2008 sei die Ausgabenposition „Dienstleistungen für Prostitution“ nicht als regelbedarfsrelevant berücksichtigt worden.
Genau wie Tabak, alkoholische Getränke und Glücksspiel zählt auch eine erotische Ganzkörpermassage nicht zum vom Gesetzgeber eingeschätzten Regelbedarf. Der Regelbedarf muss somit trotz Forderung des Klägers nicht erhöht werden.
Auch im Rahmen der Hilfe zur Pflege müssen die Kosten zur Deckung erotischer Ganzkörpermassagen nicht gedeckt werden. In der Hilfe zur Pflege werden nämlich nur „gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens“ berücksichtigt (gemäß § 19 Absatz 3 und § 61 Absatz 1 Satz 1 SGB XII). Zu diesen Verrichtungen zählen nach § 61 Absatz 5 SGB XII die Bereiche:
- Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung das mundegrechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung)
- Mobilität (selbstständige Aufstehen und Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung)
- Hauswirtschaftliche Versorgung (Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung und das Beheizen)
Unter all diese Bereiche fallen erotische Körpermassagen nicht – selbst nicht unter die Hilfe bei der Blasenentleerung.
§ 61 Absatz 1 Satz 2 SGB XII sieht zwar vor, dass auch für Verrichtungen, die nicht unter § 61 Absatz 5 SBG XII fallen, Hilfe zur Pflege zu leisten ist. Jedoch sind hierbei nur Leistungen gemeint, die in den Bereichen Körperpflege und hauswirtschaftliche Versorgung wegen einer Enschränkung des Pflegebegriffs nicht berücksichtigt werden konnten. Darunter fallen unter anderem: allgemeine Anleitung und Beaufsichtigung, Strukturierung des Tagesablaufs mit seinen unterschiedlichen körperlichen, geistigen und seelischen Bedürfnisse und der Schutz vor Selbst- und Fremdgefährdung. Ganzkörpermassagen sind kein Teil davon, weil pflegerische Zielsetzung und Betreuungscharakter fehlen.
Ebenfalls unzulässig ist ein Anspruch auf Grundlage von § 19 Absatz 3 und § 73 Satz 1 SGB XII. Demnach können auch Leistungen aus sonstigen Lebensbereichen erbracht werden, sofern sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Dass § 73 Satz 1 SGB XII in diesem Fall angewendet werden kann, ist deshalb unzulässig, weil der Paragraph hier als „Reparaturnorm“ herangezogen würde.
Der Kläger hat laut Urteil des LSG Bayern (Urteil vom 6.2.2020 – L 8 SO 163/17) somit unter keinem der genannten Aspekte ein Recht auf die Ganzkörpermassagen.
Sexualassistenz richtig anwenden
Obwohl der Kläger im obigen Fall mit seinen Forderungen gescheitert ist, gehört der Wunsch nach Zärtlichkeit, körperlicher Nähe und sinnlichen Begegnungen zu den Grundbedürfnissen des persönlichen Lebens. Diese dürfen auch körperlich eingeschränkten Personen nicht verwehrt bleiben.
Hierfür gibt es die Sexualassistenz oder Sexualbegleitung. Personen die diese Dienste anbieten, haben sich auf den Umgang mit immobilen Menschen und deren sexuellen Bedürfnisse spezialisiert. Professionelle Organisationen bringen dieses Konzept nun auch in den Seniorenbereich. Zentral sind hier die Befriedigung der Bedürfnisse nach Nähe, Zärtlichkeit und Verständnis. Es handelt sich dabei um sogenannte „passive Sexualassistenz“. Der penetrative Sex (aktive Sexualassistenz) gehört grundsätzlich nicht zu den professionellen Angeboten der Sexualassistenz.