Leider werden Altenpfleger immer wieder mit Suizidwünschen von Patienten konfrontiert. Selbstmorde sind – so hart das auch scheinen mag – ein Teil unserer Gesellschaft und wir werden sie nie ganz zum Verschwinden bringen. Speziell in der Pflege kann aber der Wunsch nach Selbsttötung sehr belastend sein, nicht nur für die Betroffenen selbst sondern auch für andere Patienten und nicht zuletzt für die Pflegenden.
Gibt es ein Recht auf Selbsttötung?
Eine intensive Debatte um eine Selbsttötung in einem Heim löste ein Vorfall am 11. Juni 2020 aus: Die Leitung eines Altenheims in Norddeutschland hatte geduldet, dass sich ein 83-jähriger Heimbewohner mit Hilfe des Vereins Sterbehilfe das Leben nahm. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte zuvor im Februar 2020 entschieden, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das Recht auf eine Selbsttötung umfasst.
Der Verein Sterbehilfe forderte daraufhin Heime auf, das Grundrecht auf Suizid in ihren Hausordnungen zu berücksichtigen – eine Idee, die unter anderem vom Deutschen Hospiz- und Palliativverband (DHPV) scharf kritisiert wurde. Denn schließlich bemühen sich Heime, ihre Bewohner ein möglichst gutes Leben zu ermöglichen. Und auch wenn laut Bundesverfassungsgericht ein Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung nichtig ist, heißt das im Umkehrschluss auf keinen Fall, dass eine Pflicht zur Sterbehilfe besteht – auch das hatte das Gericht ausdrücklich klargestellt.
Suizid: Risikofaktoren
Viele Heime achten darauf, geäußerte Suizidgedanken ernst zu nehmen und durch eine entsprechende Betreuung zu verhindern, dass der Bewohner wirklich an den Punkt kommt, diese Gedanken umzusetzen. Dabei spielt auch die Bewertung des individuellen Risikos der Bewohner eine Rolle. Denn bestimmte Faktoren in der Anamnese und der aktuellen Patientensituation deuten auf ein erhöhtes Risiko hin. Was kann man also tun, um die Gefahr eines Suizids bei Patienten möglichst früh zu erkennen? Laut der NGASR-Skala (The Nurses’ Global Assessment of Suicide Risk, Kozel et. al., 2007) sind folgende Kriterien wichtig:
- Vorhandensein / Einfluss von Hoffnungslosigkeit
- Kürzliche, mit Stress versehene Lebensereignisse, wie zum Beispiel: Verlust der Arbeit, finanzielle Sorgen,
schwebende Gerichtsverfahren - Deutlicher Hinweis auf Stimmen hören / Verfolgungsideen
- Deutlicher Hinweis auf Depression, Verlust von Interessen und / oder Verlust an Freude
- Deutlicher Hinweis auf sozialen Rückzug
- Äusserung von Suizidabsichten
- Deutlicher Hinweis auf einen Plan zur Suizidausführung
- Familienvorgeschichte von ernsthaften psychiatrischen Problemen oder Suizid
- Kürzlicher Verlust einer nahe stehenden Person oder Bruch einer Beziehung
- Vorliegen einer psychotischen Störung
- Witwe / Witwer
- Früherer Suizidversuch
- Vorliegen schlechter sozioökonomischer Verhältnisse, zum Beispiel: schlechte Wohnverhältnisse, Arbeitslosigkeit, Armut
- Vorliegen von Alkohol- oder Substanzmissbrauch
- Bestehen einer terminalen Krankheit (präfinal, im Endstadium)
- Mehrere psychiatrische Hospitalisationen (Klinikaufenthalte) in den letzten Jahren,
- Wiederaufnahme kurz nach der letzten Entlassung
Diese Kriterien ermöglichen eine Bestimmung des Risikos für den einzelnen Patienten. Bei deutlichen Anzeichen für einen bevorstehenden Suizidversuch sollte auf jeden Fall der Hausarzt informiert werden. Es ist auch wichtig, dass alle Betreuer, also auch die Nachtwache, die nächste Schicht und so weiter, über die Situation informiert werden. Wenn der Bewohner einer Absprache noch zugänglich ist, kann man ihn eventuell zu seinen Plänen befragen oder ihm das Versprechen abnehmen, das Pflegepersonal anzusprechen, bevor er den Plan ausführt.
Erhöhte Belastung für Pflegende
Die Betreuung von suizidalen Patienten kann für Pflegerinnen und Pfleger psychisch extrem belastend sein. Deshalb sollte eine Möglichkeit geschaffen werden, entsprechende Fälle im Team zu besprechen. So kann das Pflegeteam nicht nur Unterstützung anfordern, zum Beispiel aus der Psychiatrie, sondern auch reflektieren, was man in der Betreuung für die Zukunft verbessern kann.
Nicht zuletzt muss jede Pflegefachkraft auch den Raum haben, das Thema Überforderung anzusprechen. Denn im Umgang mit suizidgefährdeten Menschen sind eigene Bewältigungsstrategien unbedingt notwendig, um selbst mental gesund zu bleiben. Dazu gehört auch, rechtzeitig zu erkennen, wenn ein Bewohner aufgrund seines psychischen Zustandes nicht mehr im Heim betreut werden kann und die Verlegung in eine psychiatrische Einrichtung veranlasst werden sollte.
Quelle: PQSG, Thieme