Sachverhalt
Aufgrund in der Nacht auftretender starker Rückenbeschwerden und Schweißausbrüche verständigte die Ehefrau eines 51-jährigen Patienten den KV-Notfalldienst. In einem Telefonat schilderte sie dem diensthabenden Arzt die Beschwerden und kündigte ihr Kommen an. Etwa 15 Minuten später erschien der Patient in Begleitung seiner Ehefrau in dessen Praxis.
Bei der Untersuchung waren die Beschwerden jedoch nicht mehr persistent. Der Arzt erlebte den Patienten vielmehr unbeeinträchtigt, ohne Schwitzigkeit und Schmerzen. Trotz des ursprünglichen Verdachts war er nunmehr von einer vertebragenen Genese in Form eines akuten BWS-Syndroms überzeugt und verwarf die Differentialdiagnose eines Koronarsyndroms. Er führte kein EKG durch, verordnete Schmerzmittel und entließ den Patienten nach Hause.
Nach Verlassen der Praxis erlitt der Patient zu Hause einen Myokardinfarkt mit der Folge eines hypoxischen Hirnschadens und apallischen Syndroms. Im weiteren Verlauf musste der Patient in einem Pflegeheim untergebracht werden, wo er rund eineinhalb Jahre später verstarb.
Haftungsbeurteilung
Der hinzugezogene medizinische Sachverständige stellte hierzu fest, dass aufgrund der von der Ehefrau in dem Telefonat geschilderten Symptome zwingend die Möglichkeit eines Myokardinfarkts hätte in Betracht gezogen und differentialdiagnostisch abgeklärt werden müssen. Der Notdienst habende Arzt hätte deshalb entweder eine EKG-Registrierung, eine Blutuntersuchung oder die sofortige Einweisung in ein Krankenhaus veranlassen müssen.
Eine EKG-Registrierung hätte wegen des engen zeitlichen Zusammenhangs mit dem späteren elektrokardiographisch festgestellten Vorderwandinfarkts auch mit hoher Wahrscheinlichkeit einen reaktionspflichtigen pathologischen Befund ergeben. Dieser hätte konsequenterweise die Einleitung einer Therapie mit der Gabe von Heparin, Acetylsalicylsäure, ggf. Nitroglyzerin sowie die unmittelbare stationäre Einweisung mittels Krankenwagen in notärztlicher Begleitung, bevorzugt in ein Krankenhaus mit der Möglichkeit zur Koronarintervention, zur Folge gehabt. Unter diesen Maßnahmen wäre der längere Herz-Kreislauf-Stillstand mit hypoxischem Hirnschaden mit hoher Wahrscheinlichkeit verhindert worden.
Nach den Ausführungen des Sachverständigen hätten allein aufgrund der geklagten Beschwerden entweder differentialdiagnostisch die erforderlichen Untersuchungen durch den Notarzt selbst durchgeführt oder aber ohne jede weitere Untersuchung die sofortige Einweisung in ein geeignetes Krankenhaus veranlasst werden müssen.
Danach war von einem groben Behandlungsfehler mit der Folge einer Beweislastumkehr zulasten des Arztes auszugehen. Der Arzt hätte somit beweisen müssen, dass auch bei rechtzeitiger Einleitung der erforderlichen Maßnahmen die Schadenfolgen, insbesondere der hypoxische Hirnschaden, das apallische Syndrom und der frühe Tod eingetreten wären. Dieser Nachweis war indes wegen des insoweit eindeutigen Votums des med. Sachverständigen nicht zu führen.
Die rechtliche Einschätzung deckt sich im Übrigen mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). Dieser beurteilte in vergleichbaren Fällen das Nichterkennen eines Herzinfarkts trotz deutlicher Symptome oder dessen Einstufung als HWS-Syndrom bei unterlassener weiterer Abklärung als grob fehlerhaft.
Fazit
Im Ergebnis war an die hinterbliebene Ehefrau Schadensersatz in sechsstelliger Höhe zu leisten. Neben einem Schmerzensgeld waren im Wesentlichen vermehrte Bedürfnisse in Form umfangreicher Pflegekosten (erforderliche Rundumpflege), der Unterhaltsschaden der hinterbliebenen Ehefrau als auch die Beerdigungskosten schadenersatzfähig.
Quelle: RA Ute Ulsperger/HDI Versicherung AG, Köln