Hessen will Mindestvoraussetzungen für die Altenpflegeausbildung herabsenken.
Bewoh­ner eines Alten- und Senio­ren­heims. (Symbol­bild) Bild: Fotolu­mi­nate | Dreamstime.com

Wird ein an Demenz erkrank­ter Heimbe­woh­ner durch zwei Pflege­kräfte bei massi­ver Gegen­wehr zwangs­weise gewaschen und rasiert, stellt das – trotz hygie­ni­scher Gründe – regel­mä­ßig eine körper­li­che Misshand­lung dar. Diese kann zu einer außer­or­dent­li­chen oder ordent­li­chen Kündi­gung berech­ti­gen. Dies reali­sierte sich in einem Fall, der im Novem­ber 2019 vor dem Landes­ar­beits­ge­richt Mecklen­burg-Vorpom­mern verhan­delt wurde (Az.: 5 Sa 97/19).

Bewoh­ner lehnte die Körper­pflege regel­mä­ßig ab

Eine Alten­pfle­ge­hel­fe­rin war seit 1992 in der beklag­ten Pflege- und Senio­ren­ein­rich­tung beschäf­tigt und seit etwa 15 Jahren im Pflege­be­reich für Demenz­er­krankte tätig. Unter dem Vorwurf, die Körper­pflege eines an Demenz erkrank­ten Bewoh­ners zwangs­weise durch­ge­führt zu haben, erfolgte die Kündi­gung. Gegen diese setzte sie sich im nachfol­gen­den Verfah­ren zur Wehr.

In der Einrich­tung wohnte auch der an hochgra­di­ger Demenz und Korsa­kow-Syndrom leidende Herr S. Dieser konnte laut Aufnah­me­bo­gen ein chole­ri­sches und aufbrau­sen­des Verhal­ten zeigen. Des Weite­ren ließ er Körper­be­rüh­run­gen nur ungern zu, weshalb er die Körper­pflege regel­mä­ßig ablehnte: Pflege­ri­sche Handlun­gen – wie der Gang zur Toilette, die Ganzkör­per- und Intim­wä­sche, Mundpflege oder die Rasur – konnten daher nicht durch­ge­führt werden, wie in der Pflege­do­ku­men­ta­tion notiert wurde.

An einem Morgen konnte die Alten­pfle­ge­hel­fe­rin Herrn S. dazu bewegen, mit ihr zusam­men das Bad in seinem Zimmer aufzu­su­chen. Er hielt sich zuvor in einer Sitzecke des Wohnbe­reichs auf und trug seinen Schlaf­an­zug, in den er bereits am Vortag einge­nässt hatte. Seit mehre­ren Tagen war er nicht gewaschen und rasiert worden, da er die Körper­pflege abgelehnt hatte.

Parteien schil­dern unter­schied­li­chen Hergang

Im Bad ließ er sich von der Pflege­rin entklei­den und setzte sich auf den Dusch­stuhl. Doch bereits beim Einsei­fen und Abduschen begann er sich zu wehren. Darauf­hin kam eine andere exami­nierte Pflege­fach­kraft (Herr B.) hinzu, um Herrn S. festzu­hal­ten. Der darauf­hin weitge­hend wehrlose Bewoh­ner wurde sodann von der Pflege­hel­fe­rin gewaschen und rasiert. Herr S. schrie und spuckte Herrn B. an und und trat ihm in die Genita­lien. Der Beschrei­bung des Sachver­hal­tes nach, „berührte“ die Pflege­fach­kraft Herrn S. „mit der Hand im Gesicht, worauf ein Klatschen zu hören war“. Der Heimdi­rek­tor kam hinzu und äußerte sinnge­mäß: „So geht das hier nicht“.

Der genaue Hergang wird von den Parteien unter­schied­lich darge­stellt. Vor allem blieb strei­tig, ob auch die Alten­pfle­ge­hel­fe­rin den Bewoh­ner festge­hal­ten hat und in welche Phase des Wasch­vor­gangs der Direk­tor hinzu­kam. Nach Beendi­gung der Körper­pflege ließ sich der Bewoh­ner, mittler­weile beruhigt, auf dem Bett sitzend die Finger­nä­gel von der Kläge­rin schnei­den.

Nach dem Vorfall infor­mierte der Direk­tor die Pflege­dienst­lei­tung und forderte sie auf, eine Vertre­tung für die Station zu organi­sie­ren. Sodann suspen­dierte er die Alten­pfle­ge­hel­fe­rin und Herrn B. vom Dienst und lud sie zu einem Perso­nal­ge­spräch. Nach Benach­rich­ti­gung des Betriebs­ra­tes, folgte die frist­lose, hilfs­weise ordent­li­che Kündi­gung der Kläge­rin.

Hierge­gen richtete sich ihre Klage. Sie war der Ansicht, dass sie keine arbeits­ver­trag­li­chen Pflich­ten verletzt und keine körper­li­che Gewalt angewandt habe. Sie führte außer­dem aus, dass sie in den gesam­ten 25 Jahren ihrer Beschäf­ti­gung keine Abmah­nung erhal­ten habe.

Urteil: Ordent­li­che Kündi­gung ist wirksam

Die zunächst vom Arbeits­ge­richt Stral­sund abgelehnte Kündi­gungs­schutz­klage wurde zweit­in­stanz­lich vom Landes­ar­beits­ge­richt Mecklen­burg-Vorpom­mern teilweise zugelas­sen: Wie das Gericht urteilte, war die ordent­li­che Kündi­gung wirksam. Die Kläge­rin hat körper­li­che Gewalt gegen Herrn S. einge­setzt, um die Körper­pflege vollstän­dig gegen seinen unmiss­ver­ständ­li­chen Willen durch­zu­füh­ren. Zwar war diese aus hygie­ni­schen Gründen geboten, nicht aber der Einsatz von Zwangs­mit­teln. Eine Geneh­mi­gung lag hierfür ebenfalls nicht vor. Der gut gemeinte Zweck recht­fer­tigt nicht das Mittel der Anwen­dung von Zwang. Eine akute Gefahr für Herrn S. oder andere Bewoh­ner hat nicht bestan­den, die ein sofor­ti­ges Einschrei­ten erfor­dert hätte. Die Betreue­rin von Herrn S. mag zwar auf eine regel­mä­ßige Körper­wä­sche gedrun­gen haben, den Einsatz von Zwangs­mit­teln hat sie damit jedoch nicht gebil­ligt.

Unerheb­lich ist hinge­gen, wer von beiden Herrn S. festge­hal­ten hat. Es handelte sich um ein arbeits­tei­li­ges Vorge­hen, das die Kläge­rin gebil­ligt und genutzt hat, um Herrn S. gegen seinen erkenn­ba­ren Willen zu waschen und zu rasie­ren. Für Herrn S. handelte es sich erkenn­bar um eine ernied­ri­gende, schmerz­hafte Misshand­lung und Verlet­zung seines Selbst­be­stim­mungs­rechts. Der Einsatz des körper­li­chen Zwangs beschränkte sich weder auf einen kurzen Augen­blick noch bewegte er sich im nieder­schwel­li­gen Bereich. Er wurde während der gesam­ten Dauer festge­hal­ten, und zwar so fest, dass er sich trotz Anspan­nung aller Kräfte der Situa­tion nicht entzie­hen konnte.

Der Alten­pfle­ge­hel­fe­rin nicht zuzurech­nen ist hinge­gen die eventu­ell von Herrn B. ausge­teilte Ohrfeige. Diese Form der Misshand­lung hat ein deutlich größe­res Gewicht als das voran­ge­gan­gene Festhal­ten. Hierfür trägt allein Herr B. die Verant­wor­tung.

Eine körper­li­che Misshand­lung von Heimbe­woh­nern ist typischer­weise geeig­net, eine außer­or­dent­li­che Kündi­gung zu recht­fer­ti­gen. Das Gericht stellte fest, dass die Alten­pfle­ge­hel­fe­rin schuld­aft gehan­delt habe. Darüber hinaus entlaste die Mitwir­kung einer ausge­bil­de­ten Pflege­fach­kraft sie nicht von ihrer Verant­wor­tung. Trotz­dem war es der beklag­ten Einrich­tung zuzumu­ten, sie noch bis zum Ablauf der Kündi­gungs­frist zu beschäf­ti­gen. Eine sofor­tige, frist­lose Beendi­gung des Arbeits­ver­hält­nis­ses war nicht notwen­dig.

Juris­ti­scher Hinweis: Die Sorge für eine menschen­wür­dige Pflege nach dem allge­mein anerkann­ten medizi­ni­schen und pflege­ri­schen Erkennt­nis­stan­dard zählt zu den Haupt­pflich­ten von Pflege­ein­rich­tun­gen. Durch geeig­nete Struk­tu­ren und Maßnah­men müssen Gefah­ren für Leib und Seele abgewen­det werden, die durch Vernach­läs­si­gung oder andere Formen von Gewalt entste­hen können. Mit der Unter­brin­gung in einem Heim ist nicht eine Einschrän­kung des Rechts auf körper­li­che Unver­sehrt­heit und des Persön­lich­keits­rechts verbun­den. Die Würde, Inter­es­sen und Bedürf­nisse der Heimbe­woh­ner sind zu schüt­zen. Die Selbst­stän­dig­keit, die Selbst­be­stim­mung und die Selbst­ver­w­ant­wor­tung sind zu wahren und zu fördern. Die Erkran­kung oder Gebrech­lich­keit eines Heimbe­woh­ners ändert daran nichts. Aufgrund dessen ist der Heimbe­woh­ner in beson­de­rer Weise schutz­be­dürf­tig, da er je nach körper­li­cher und geisti­ger Verfas­sung nicht ausrei­chend in der Lage ist, seine Inter­es­sen selbst zu wahren. Das kann auch die grund­le­gen­den Bedürf­nisse, wie Essen, Trinken, Körper­pflege betref­fen.

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe März/April 2020 der Rechts­de­pe­sche; RDG 17(2), S. 77–80.