Grundgesetz
Das Grund­ge­setz für die Bundes­re­pu­blik Deutsch­land trat am 23. Mai 1949 in Kraft.

Am 23. Mai feiert das Grund­ge­setz für die Bundes­re­pu­blik Deutsch­land Jubiläum. Es trat im Jahr 1949 in Kraft und bildet die verfas­sungs­recht­li­che Grund­lage für viele Berei­che des gesell­schaft­li­chen Lebens – auch für das Gesund­heits­we­sen. Zwar regelt es nicht konkret einzelne Gesund­heits­fra­gen, es liefert jedoch zentrale Prinzi­pien und Rechte, die maßgeb­lich für die Ausge­stal­tung des Gesund­heits­we­sens sind.

Es garan­tiert das Recht auf Leben und körper­li­che Unver­sehrt­heit, schützt die Würde und Selbst­be­stim­mung der Patien­tin­nen und Patien­ten und sichert den gleich­be­rech­tig­ten Zugang zur medizi­ni­schen Versor­gung.

Das Grund­ge­setz enthält damit keine medizin­recht­li­chen Fachnor­men, es schafft jedoch die verfas­sungs­recht­li­chen Leitplan­ken, inner­halb derer das Gesund­heits­we­sen organi­siert wird – von der indivi­du­el­len Gesund­heits­ver­sor­gung bis hin zum Daten­schutz. Zur Feier des Tages blicken wir auf die gesund­heits­recht­li­chen Errun­gen­schaf­ten, die dem Grund­ge­setz zu verdan­ken sind.

Aufklä­rung vor einer Behand­lung? Nur durch das Grund­ge­setz!

In Artikel 1 Abs. 1 Grund­ge­setz (GG) heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantast­bar“. Artikel 2 führt in Absatz 2 weiter aus: „Jeder hat das Recht auf Leben und körper­li­che Unver­sehrt­heit“. Jeder Mensch in Deutsch­land darf damit über seinen Körper und sein Leben selbst bestim­men.

Artikel 2 Abs. 1 GG enthält zudem das Recht auf freie Entfal­tung der Persön­lich­keit, das gemein­hin als Selbst­be­stim­mungs­recht bezeich­net wird.

Diese verfas­sungs­recht­li­chen Vorga­ben wirken mittel­bar: Sie verpflich­ten den Gesetz­ge­ber und wirken auf die Ausle­gung von Geset­zen durch Gerichte. Daraus haben sich u.a. folgende Vorschrif­ten und Prinzi­pien im einfa­chen Recht entwi­ckelt.

Das genannte Selbst­be­stim­mungs­recht verlangt, dass niemand medizi­ni­schen Maßnah­men gegen seinen Willen oder ohne seine infor­mierte Einwil­li­gung unter­zo­gen wird.

Im Lichte dieser Wertset­zung regelt § 630d Bürger­li­ches Gesetz­buch (BGB) die Einwil­li­gung. Demnach muss der Behan­delnde vor der Durch­füh­rung einer medizi­ni­schen Maßnahme, insbe­son­dere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesund­heit, die Einwil­li­gung des Patien­ten einho­len.

In welcher Art und Weise das gesche­hen muss, wird in § 630e BGB bestimmt, der die ärztli­che Aufklä­rungs­pflicht regelt. Der Patient muss über Art, Umfang, Durch­füh­rung, Risiken und Alter­na­ti­ven eines Eingriffs aufge­klärt werden. Die Aufklä­rung muss recht­zei­tig, verständ­lich und persön­lich erfol­gen.

Wichtig ist, dass die Patien­ten einwil­li­gungs­fä­hig sind und die Schwere und Tragweite ihrer Entschei­dung verste­hen können. Ist das nicht mehr möglich, muss der Patien­ten­wille ander­wei­tig bestimmt werden, etwa durch eine Patien­ten­ver­fü­gung oder Vorsor­ge­voll­macht.

Wer zuwider handelt, macht sich mitun­ter straf­bar. Gibt es beispiels­weise vor einer Opera­tion keine adäquate Aufklä­rung, dann ist der Arzt, der das Skalpell führt, auf recht­li­cher Ebene gleich­ge­stellt mit einem Messer­ste­cher. Denn ohne wirksame Einwil­li­gung wäre der Tatbe­stand der gefähr­li­chen Körper­ver­let­zung erfüllt. In der Regel wird aber ein Gesund­heits­scha­den voraus­ge­setzt, bevor ein Aufklä­rungs­feh­ler straf­recht­li­che Konse­quen­zen nach sich zieht.

Sinnvolle Behand­lun­gen ableh­nen? Ebenfalls Grund­recht.

Mit Blick auf das genannte Selbst­be­stim­mungs­recht ist es auch möglich, dass Patien­ten eine Behand­lung ableh­nen können. Jeder darf selbst entschei­den, ob und wie er sich behan­deln lassen will. Es geht also auch um die Freiheit der eigenen Entschei­dung.

Der Wille des Patien­ten steht damit über der medizi­ni­schen Indika­tion. Inter­es­sant wird es, wenn Glaubens­fra­gen für den Willen des Patien­ten entschei­dend sind. Die Religi­ons­frei­heit ist in Artikel 4 Abs. 1 GG bestimmt: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewis­sens und die Freiheit des religiö­sen und weltan­schau­li­chen Bekennt­nis­ses sind unver­letz­lich“.

So lehnen Zeugen Jehovas beispiels­weise Bluttrans­fu­sio­nen ab, egal wie sinnvoll diese für ihren Gesund­heits­zu­stand auch sein mögen. Wenn der Patien­ten­wille klar formu­liert wurde, sind den Ärzten in solchen Fällen in der Regel die Hände gebun­den. Kann der Patien­ten­wille nicht zweifels­frei bestimmt werden, heißt es: „in dubio pro vita“ – Im Zweifel fürs Leben.

An dieser Stelle kolli­die­ren zwei Grund­rechte: die Würde und Autono­mie der Patien­ten und das Recht auf Leben und körper­li­che Unver­sehrt­heit. Einer­seits muss den Patien­ten­wün­schen gefolgt werden, ander­seits ist die gebotene medizi­nisch-pflege­ri­sche Versor­gung nicht zu vernach­läs­si­gen. Dieses Spannungs­ver­hält­nis findet sich auch in anderen Berei­chen wieder. So auch bei der Fixie­rung.

Das Recht, sich selbst zu gefähr­den

In Pflege­ein­rich­tun­gen gehört der Sturz zu den häufigs­ten haftungs­recht­li­chen Vorfäl­len. Viele Einrich­tun­gen versu­chen, dieses Risiko durch Fixie­run­gen wie Bettgit­ter zu verrin­gern. Recht­lich betrach­tet, ist das durch­aus proble­ma­tisch: Denn solche Maßnah­men können die Freiheit des Menschen maßgeb­lich einschrän­ken.

Deshalb gilt: Niemand darf gegen seinen Willen festge­hal­ten werden – nicht durch Bettgit­ter, Gurte oder andere Vorrich­tun­gen. Solche Fixie­run­gen dürfen nur dann einge­setzt werden, wenn der Bewoh­ner zustimmt oder ein Betreuer und das Gericht sie geneh­mi­gen. Und selbst dann nur, wenn es wirklich keine andere Möglich­keit mehr gibt.

Fixie­run­gen sind also Ultima ratio, da sie eine erheb­li­che Grund­rechts­ein­schrän­kung darstel­len. Genau wie bei der Einwil­li­gung in medizi­ni­sche Maßnah­men gilt: Der Bewoh­ner kann Behand­lungs- und Pflege­maß­nah­men zur Kompen­sa­tion von Risiken ableh­nen, wenn er einsichts­fä­hig ist und über die Gefah­ren­si­tua­tion, die mit der Ableh­nung verbun­den ist, aufge­klärt wurde.

Egal wie unver­nünf­tig die Entschei­dung sein mag, ihr muss gefolgt werden.

Das Grund­recht sterben zu wollen

Das gilt sogar dann, wenn das Leben eines Menschen auf dem Spiel steht. In einem wegwei­sen­den Urteil zur Sterbe­hilfe hat das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt erklärt: „Das Recht auf selbst­be­stimm­tes Sterben ist als Ausdruck perso­na­ler Freiheit nicht auf fremd­de­fi­nierte Situa­tio­nen beschränkt“. Es ist also nicht notwen­dig, dass ein Patient seinen Willen zu sterben für irgend­je­man­den nachvoll­zieh­bar macht. Er muss nur selbst­be­stimmt geäußert werden.

Das Grund­ge­setz ermög­licht damit auf Grund­lage der allge­mei­nen Persön­lich­keits­rechte zwei Formen der Sterbe­hilfe: die passive und indirekte Sterbe­hilfe. Bei der passi­ven Sterbe­hilfe wird der Tod eines Patien­ten nicht direkt, sondern passiv herbei­ge­führt. Etwa durch das Beenden lebens­er­hal­ten­der Maßnah­men. Die indirekte Sterbe­hilfe bezieht sich auf Maßnah­men, die beispiels­weise Linde­rung von Schmer­zen für den Patien­ten verspre­chen, gleich­zei­tig aber auch unter Umstän­den tödlich sein können – wenn zum Beispiel Opioide verab­reicht werden.

Nicht erlaubt ist die aktive Sterbe­hilfe, also das aktive Töten. Selbst, wenn es der Wunsch des Patien­ten ist, darf er nicht aktiv und bewusst getötet werden.

Dokumen­ta­tion, Akten­ein­sicht und Schwei­ge­pflicht – vom Grund­ge­setz bestimmt

Ebenfalls aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbin­dung mit Artikel 2 Absatz 1 Grund­ge­setz ergibt sich das Recht auf infor­melle Selbst­be­stim­mung, das Grund­lage für etwaige Daten­schutz­be­stim­mun­gen ist. Diese münden in recht­li­chen Regelun­gen etwa zur Dokumen­ta­tion, Akten­ein­sicht und Schwei­ge­pflicht.

Während das Recht auf körper­li­che Unver­sehrt­heit eine präzise und vollstän­dige medizi­ni­sche Dokumen­ta­tion erfor­dert, sichert das Recht auf infor­melle Selbst­be­stim­mung dem Patien­ten die Kontrolle über die eigenen persön­li­chen Gesund­heits­da­ten zu.

Die Dokumen­ta­tion wird hierbei klar vom Gesetz­ge­ber vorge­ge­ben (§ 630f BGB). So sind sämtli­che aus fachli­cher Sicht für die derzei­tige und künftige Behand­lung wesent­li­chen Maßnah­men und deren Ergeb­nisse aufzu­zeich­nen.

Beson­dere Sorgfalt betrifft hierbei die Fotodo­ku­men­ta­tion etwa bei Wundbe­hand­lun­gen. Bildauf­nah­men können eine Verlet­zung des höchst­per­sön­li­chen Lebens­be­reichs darstel­len. Auch hier ist die Einwil­li­gung entschei­dend. Für Fotoauf­nah­men des Patien­ten ohne Erlaub­nis, kann eine Freiheits­strafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe drohen.

Da es sich bei den dokumen­tier­ten Infor­ma­tio­nen um perso­nen­be­zo­gene Daten handelt, die in den Bereich der Selbst­be­stim­mung und perso­na­len Würde fallen, hat der Patient auch grund­sätz­lich ein Recht darauf, diese Daten einzu­se­hen (§ 630g BGB). Dieses Recht auf Akten­ein­sicht kann nur dann einge­schränkt werden, wenn die Persön­lich­keits­rechte anderer Dritter durch die Akten­ein­sicht gefähr­det werden.

Während der Patient für sich selbst entschei­den kann, wem er von seinen gesund­heit­li­chen Proble­men erzählt, gilt für die Beschäf­tig­ten im Gesund­heits­we­sen Still­schwei­gen. Wer krank oder hilfs­be­dürf­tig ist, gibt viel Persön­li­ches preis – körper­lich wie seelisch. Genau deshalb unter­lie­gen die Beschäf­tig­ten im Gesund­heits­we­sen der Schwei­ge­pflicht. Sie schützt sensi­ble Infor­ma­tio­nen über Diagno­sen, Lebens­um­stände oder familiäre Konflikte.

Die Schwei­ge­pflicht ist gesetz­lich veran­kert (§ 203 StGB) und dient dem Schutz der Persön­lich­keits­rechte. Diese müssen auch im Gespräch mit Kolle­gen gewahrt bleiben.

Streik­recht: Damit der Wert der Arbeit stimmt

Doch nicht nur für die unmit­tel­bare Patien­ten-Behan­deln­den-Bezie­hung gibt es verfas­sungs­recht­li­che Vorga­ben. Zur Errun­gen­schaft durch das Grund­ge­setz zählt auch das Streik­recht (Artikel 9 GG Abs. 3), von dem auch die Beschäf­tig­ten im Gesund­heits­we­sen gerne Gebrauch machen. Sie retten Leben – oft unter enormem Druck. Für viele Beschäf­tigte bleibt der Wert ihrer Arbeit auf dem Lohnzet­tel aber unsicht­bar.

Ein Mittel, das zu ändern, ist der Arbeits­kampf. Durch kollek­tive Maßnah­men von Arbeit­neh­mern kann so der Arbeit­ge­ber unter Druck gesetzt werden, um die eigene Position beispiels­weise in Tarif­ver­hand­lun­gen zu verbes­sern. Die Möglich­keit sich auf diese Weise für seine unmit­tel­ba­ren Inter­es­sen als Arbeit­neh­mer einzu­set­zen – auch das ist Grund­recht.

Der Sozial­staat und das Gesund­heits­we­sen

Der Rahmen in denen sich all die genann­ten Regelun­gen und Vorschrif­ten bewegen, ist der deutsche Sozial­staat. Im Grund­ge­setz, Artikel 20, ist die Bundes­re­pu­blik Deutsch­land als sozia­ler und demokra­ti­scher Staat veran­kert. Das verpflich­tet den Staat, für soziale Gerech­tig­keit und Teilhabe zu sorgen. Eine der konkre­tes­ten Ausprä­gun­gen dieses Prinzips ist die gesetz­li­che Kranken­ver­si­che­rung.

Sie gewähr­leis­tet, dass medizi­ni­sche Versor­gung nicht vom Einkom­men abhän­gig ist. Jeder soll im Krank­heits­fall abgesi­chert sein – unabhän­gig von Beruf, Herkunft und sozia­lem Status. Auch das Gebot der Gleich­be­hand­lung im Gesund­heits­we­sen fußt auf dieser Grund­lage, die ihre Wurzeln in Artikel 3 GG hat, nach dem alle Menschen in Deutsch­land vor dem Gesetz gleich sind. Das Gebot soll vor Diskri­mi­nie­rung schüt­zen und den Zugang zu notwen­di­gen Leistun­gen für alle sichern.

Wenn die Verfas­sung ganz konkret wird

Was im Grund­ge­setz als abstrakte Prinzi­pien beginnt, wird im Gesund­heits­we­sen ganz konkret: Es schützt die Würde der Menschen, das Leben und die Freiheit der eigenen Entschei­dung. Es sorgt dafür, dass Patien­ten nur mit ihrer Zustim­mung behan­delt werden, dass sie „Nein“ sagen dürfen – selbst dann, wenn es unver­nünf­tig erscheint. Es sorgt dafür, dass Menschen selbst­be­stimmt und würde­voll über alle Berei­che der eigenen Person entschei­den können, egal in welchem seeli­schen und körper­li­chen Zustand – auch im Krank­sein.

Es erlaubt den Beschäf­tig­ten im Gesund­heits­we­sen für ihre Inter­es­sen im Arbeits­kampf einzu­tre­ten, damit auch zukünf­tig möglichst alle Menschen in Deutsch­land von diesem System profi­tie­ren können. So wird das abstrakte Sozial­staats­prin­zip mit seiner verfas­sungs­recht­li­chen Grund­lage zur greif­ba­ren Reali­tät – Tag für Tag, in Arztpra­xen und Klini­ken im ganzen Land.