Die Zahl der Dekubitus-Fälle ist zu hoch – so lautete eines der Ergebnisse des Pflege-Reports 2018 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Zwar unterscheidet sich die Risikostruktur von Pflegebewohner zu Pflegebewohner, trotzdem ist es nach Expertenmeinung durchaus möglich, dass ein Dekubitus durch entsprechende Pflege vermeidbar bleiben kann.
Dazu wurde bereits 2004 das erste Mal der Expertenstandard „Dekubitusprophylaxe in der Pflege“ des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) publiziert und liegt seit 2017 bereits in 2. Aktualisierung vor.
Wichtig: Nicht zwangsläufig ist das Entstehen eines Dekubitus Folge von Fehlverhalten auf Seiten des jeweiligen Behandlers. Von Relevanz ist hierbei grundsätzlich die Frage, inwieweit das Dekubitalgeschwür in den sogenannten vollbeherrschbaren Herrschafts- und Organisationsbereich einzuordnen ist. Für die juristisch und haftungsrechtlichen Details sollte unbedingt ein Blick in dieses Video von Rechtsanwalt Prof. Dr. Volker Großkopf geworfen werden, in dem er genau diesen Umstand prägnant und verständlich erläutert.
Wie die Rechtsprechung im Falle einer fehlerhaften Dekubitusprophylaxe ausfallen kann, zeigt ein Streitfall, der 2018 vor dem Oberlandesgericht Brandenburg ausgetragen wurde (Az.: 12 U 37/17).
Kurz gesagt wurden in diesem Fall zwei grundlegende Dinge fehlerhaft durchgeführt:
- Der Patient wurde nicht als Hochrisikopatient für das Erleiden eines Dekubitus eingeordnet. Entsprechende Behandlungsmaßnahmen wurden daher nicht vorgenommen.
- Die Dokumentation war lückenhaft, sodass einzelne Behandlungsmaßnahmen nicht voll umfänglich nachvollzogen werden konnten.
Zum Hintergrund
Geklagt hat die Tochter eines verstorbenen Patienten. Ihrem Vorwurf zufolge wurde ihr Vater während eines Krankenhausaufenthaltes ärztlich und pflegerisch falsch behandelt, weshalb sie Schadensersatz in Höhe von 23.000 Euro geltend machte. Bei ihm handelte es sich um einen dementen, multimorbiden Mann mit einer kardialen Dekompensation mit Vorhofflimmern, einem Gravis-Syndrom mit wiederkehrenden Blutergüssen und entsprechender Blutarmut, einer chronischen Niereninsuffizienz im Stadium III, einer Polyneuropathie sowie einer Leberzirrhose im Endstadium. Er hätte, so die Tochter, als Hochrisikopatient für einen Dekubitus eingestuft werden und entsprechend behandelt werden müssen.
Wegen einer Oberschenkelfraktur wurde er am 3. Juli 2012 im beklagten Klinikum aufgenommen. Nach der Behandlung am Folgetag wurde ein geringes Sturzrisiko mit 4 Punkten und ein geringes Dekubitusrisiko mit 17 Punkten nach der Braden-Skala dokumentiert. Eine Dekubitusprophylaxe „zweimal täglich“ wurde in der Pflegeplanung dokumentiert, allerdings ohne Nennung der genauen vorgenommenen Maßnahmen. Vier Tage nach seiner Krankenhausaufnahme wurde vom Spätdienst dokumentiert:
„Gesäß gerötet bis lila verfärbt und Spannungsblase rechte Gesäßhälfte ca. 1 cm Durchmesser“.
Es folgten eine Antidekubitusmatratze, die Lagerung nach einem Lagerungsplan sowie die Verlegung auf die Intermediate-Care-Station. Sein Hautzustand verschlechterte sich jedoch und in der Zeit nach seiner Entlassung verstärkten sich die Dekubitus, sodass weitere operative Wundversorgungen nötig waren. Wenige Monate später verstarb der Patient.
Die Behandlungsfehler der Ärzte und Pflegekräfte waren grob fehlerhaft
Anders als das Landgericht Potsdam, das die Klage abgewiesen hat, entschied das Oberlandesgericht Brandenburg zugunsten der Klägerin. Demnach wurde ihr Vater nicht nach den allgemein anerkannten fachlichen Standards behandelt. Aufgrund einer Reihe von Dekubitusrisikofaktoren handelte es sich bei ihm in der Tat um einen Hochrisikopatienten.
Gemäß Expertenstandard hätte bei ihm am Aufnahmetag zeitnah eine Risikoeinschätzung sowie eine Hautkontrolle erfolgen müssen. Dass bei ihm lediglich ein geringes Dekubitusrisiko beschrieben wurde, war eine Fehleinschätzung. Zudem wurden die entsprechenden pflegerischen Maßnahmen nicht vollständig dokumentiert, sodass vermutet werden muss, dass sie nicht getroffen worden sind. So oder so musste hier angenommen werden, dass die für einen Hochrisikopatienten notwendigen Maßnahmen nicht vorgenommen wurden, da er ohnehin schon nicht als solcher eingestuft worden ist. In diesem Fall lag deshalb die Beweislast nicht ausschließlich beim Patienten, sondern beim beklagten Krankenhaus. Dieses konnte jedoch keine entsprechenden Beweise vorlegen. Die gemachten Eintragungen zeigten sogar vielmehr, dass die Abstände zwischen den Lagerungsintervallen zu groß waren.
Insgesamt wurden die Behandlungsfehler als grob fehlerhaft bewertet, da die Ärzte und Pflegekräfte eindeutig gegen bewährte medizinische Behandlungsregeln und gesicherte Erkenntnisse verstoßen haben.
- In diesem Fall war daher zu vermuten, dass die Behandlungsfehler auch ursächlich für die Verletzungen waren.
- Die fehlende Dokumentation einer Hautkontrolle stellte außerdem ein Befunderhebungsfehler dar.
- Der Tochter wurde ein Schmerzensgeld in Höhe von 8.000 Euro zugesprochen.
Das ausführliche Urteil, einschließlich juristischer Erläuterungen und hilfreicher Prxistipps, ist in der Ausgabe Mai/Juni 2019 der Rechtsdepesche für das Gesundheitswesen zu finden.
Quelle: OLG Brandenburg vom 28. Juni 2018 – 12 U 37/17.