Das ist eine ziemlich ärgerliche Situation: Wochen- und monatelang hat man hart gearbeitet, ist bei Bedarf eingesprungen oder länger geblieben – und hat dabei eine Menge an Überstunden angehäuft. Nun kommt endlich die Gelegenheit, mittels des Freizeitausgleichs die Zeit der Mehrarbeit abzufeiern, und genau dann erkrankt man! Am liebsten würde man den Freizeitausgleich stoppen, sich „aus dem Frei heraus“ krank melden und sein Zeitguthaben auf diese Weise schonen.
Schließlich gibt es doch eine bekannte, vergleichbare Regelung für den Fall, dass man im Urlaub erkrankt: Tatsächlich kann man sich auch aus dem Urlaub heraus als arbeitsunfähig melden; in diesem Fall zählen die Urlaubstage für die Dauer der Krankschreibung nicht mehr als genommen, und man hat sie für einen späteren Zeitpunkt zur Verfügung.
Denn es gilt der Grundsatz „krank ist krank“ – der Urlaub ist schließlich explizit zur Erholung und der Wiederherstellung von körperlichen, geistigen und seelischen Ressourcen gedacht, und nicht, um erkrankt im Bett zu liegen! Das regelt § 9 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) glasklar:
„Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet.“
Im Grundsatz: Überstundenausgleich ist (rechtlich) kein Urlaub
Doch ist der Freizeitausgleich nach Überstunden genauso zu handhaben wie Urlaub? Hierzu gibt es in der juristischen Literatur konkurrierende Meinungen; teils wird vertreten, dass die Beschäftigten bei einer Erkrankung während des Freizeitsausgleichs – analog zum Urlaub – einen Anspruch auf das „Nachholen“ der krankheitsmäßig versäumten Regenerationszeit haben.
Leider sieht die Rechtsprechung dies jedoch überwiegend anders: Bereits im Jahr 1991 urteilte das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin, dass kein Recht auf weiteren bezahlten Freizeitausgleich besteht, wenn der Arbeitnehmer nach der Festlegung des durch Vorarbeit erworbenen Freizeitausgleiches an dem dafür vorgesehenen Arbeitstag arbeitsunfähig erkrankt (Az.: 13 Sa 113/90). Eine vorgesehene Arbeitsbefreiung aufgrund geleisteter Überstunden diene hiernach nicht der Verschaffung einer zu Erholungszwecken nutzbaren arbeitsfreien Zeit, argumentiert das Gericht.
Denn anders als der Urlaub – der, wie schon erfahren, ganz klar zur Erholung der Arbeitnehmerin beziehungsweise des Arbeitnehmers gedacht ist –, zählt die Freizeit nicht zum (sozusagen) „Verantwortungsbereich“ des Arbeitgebers.
Das Risiko einer Erkrankung während des Freizeitausgleiches wegen Überstunden trägt damit der Arbeitnehmer – genauso wie wenn er sich, beispielsweise, nach Feierabend plötzlich unwohl fühlt. Auch dann kann er, oder sie, die durch Unwohlsein getrübte arbeitsfreie Zeit schließlich nicht nachfeiern! Der Freizeitausgleich steht also, rechtlich gesehen, nicht auf der gleichen Stufe wie der Urlaub.
Tarifverträge (und Betriebspraxis) können abweichen
Allerdings kann im praktischen Fall von dieser Linie abgewichen werden. Insbesondere dann, wenn Tarif- oder Manteltarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen die Frage anders regeln.
Der § 10 Absatz 4 TVöD beispielsweise, der für den Öffentlichen Dienst in Einrichtungen des Bundes oder der Kommunen gilt, regelt explizit, dass sich die während des Freizeitausgleichs durch Erkrankung „versäumten“ Tage nachholen lassen. Unter anderem heißt es:
„Im Falle einer unverzüglich angezeigten und durch ärztliches Attest nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit während eines Zeitausgleichs vom Arbeitszeitkonto […] tritt eine Minderung des Zeitguthabens nicht ein.“
In diesem Sinne urteilte auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seiner Revisionsentscheidung vom 23. Februar 2022 (Az.: 10 AZR 99/21) und gab damit einem während der Freistellung erkrankten Arbeitnehmer Recht:
„Die Formulierungen [des Tarifvertrags, d. Red.] deuten aber darauf hin, dass der Anspruch nicht bereits erfüllt ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht freistellt, indem er die arbeitsfreien Tage zeitlich fixiert, sondern erst dann, wenn der Arbeitnehmer die Möglichkeit hat, die freien Tage tatsächlich zu nutzen. Dies ist während einer Arbeitsunfähigkeit nicht der Fall.“
Für das strittige Jahr 2019 ständen dem Kläger demnach zwei weitere Freistellungstage zu, so die Erfurter Bundesrichter. Das Landesarbeitsgericht hatte in dem Berufungsverfahren zuvor ebenfalls dem Arbeitnehmer Recht gegeben, und dabei das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert.
Grundlage der Entscheidung war in diesem Fall der Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens (MTV), der für das Beschäftigungsverhältnis galt.
Vertragswerke prüfen
Fazit: Ein automatisches Nachfeiern von Krankheitstagen „im Frei“ gibt es (leider) nicht! Um die Frage für den persönlichen Fall zu klären, sollte man prüfen, welche Tarif- oder Manteltarif-Vertragswerke für das eigene Arbeitsverhältnis gelten, und ob dort solche Bestimmungen stehen.
Denn die Voraussetzung ist natürlich, dass der Tarifvertrag, der eine Zeitgutschrift für die Erkrankung während des Freizeitausgleichs vorsieht, für die Bewertung des Arbeitsverhältnisses überhaupt angewendet werden kann!
Auch in eventuell vorhandenen Betriebs- und Dienstvereinbarungen sollte man nachschauen, oder – ebenfalls, falls vorhanden – den Betriebs- beziehungsweise Personalrat oder die Mitarbeitervertretung zu Rate ziehen. Denn vielleicht hat es im Betrieb, oder der Einrichtung, schon mal ähnlich gelagerte Fälle gegeben.
Zu guter Letzt kann man, wenn sich aus dem Vertragswerk partout kein Anspruch herleiten lässt, die eigene Einrichtung auch einfach um eine Zeitgutschrift fragen, wenn die genannte Situation eintritt – denn Fragen kostet bekanntlich nichts …