Krank im Überstundenfrei
Statt wohlver­diente Entspan­nung: Krank im Überstun­den­frei Bild: Mike Fouque/Dreamstime

Das ist eine ziemlich ärger­li­che Situa­tion: Wochen- und monate­lang hat man hart gearbei­tet, ist bei Bedarf einge­sprun­gen oder länger geblie­ben – und hat dabei eine Menge an Überstun­den angehäuft. Nun kommt endlich die Gelegen­heit, mittels des Freizeit­aus­gleichs die Zeit der Mehrar­beit abzufei­ern, und genau dann erkrankt man! Am liebs­ten würde man den Freizeit­aus­gleich stoppen, sich „aus dem Frei heraus“ krank melden und sein Zeitgut­ha­ben auf diese Weise schonen.

Schließ­lich gibt es doch eine bekannte, vergleich­bare Regelung für den Fall, dass man im Urlaub erkrankt: Tatsäch­lich kann man sich auch aus dem Urlaub heraus als arbeits­un­fä­hig melden; in diesem Fall zählen die Urlaubs­tage für die Dauer der Krank­schrei­bung nicht mehr als genom­men, und man hat sie für einen späte­ren Zeitpunkt zur Verfü­gung.

Denn es gilt der Grund­satz „krank ist krank“ – der Urlaub ist schließ­lich expli­zit zur Erholung und der Wieder­her­stel­lung von körper­li­chen, geisti­gen und seeli­schen Ressour­cen gedacht, und nicht, um erkrankt im Bett zu liegen! Das regelt § 9 des Bundes­ur­laubs­ge­set­zes (BUrlG) glasklar:

„Erkrankt ein Arbeit­neh­mer während des Urlaubs, so werden die durch ärztli­ches Zeugnis nachge­wie­se­nen Tage der Arbeits­un­fä­hig­keit auf den Jahres­ur­laub nicht angerech­net.“

Im Grund­satz: Überstun­den­aus­gleich ist (recht­lich) kein Urlaub

Doch ist der Freizeit­aus­gleich nach Überstun­den genauso zu handha­ben wie Urlaub? Hierzu gibt es in der juris­ti­schen Litera­tur konkur­rie­rende Meinun­gen; teils wird vertre­ten, dass die Beschäf­tig­ten bei einer Erkran­kung während des Freizeit­saus­gleichs – analog zum Urlaub – einen Anspruch auf das „Nachho­len“ der krank­heits­mä­ßig versäum­ten Regene­ra­ti­ons­zeit haben.

Leider sieht die Recht­spre­chung dies jedoch überwie­gend anders: Bereits im Jahr 1991 urteilte das Landes­ar­beits­ge­richt (LAG) Berlin, dass kein Recht auf weite­ren bezahl­ten Freizeit­aus­gleich besteht, wenn der Arbeit­neh­mer nach der Festle­gung des durch Vorar­beit erwor­be­nen Freizeit­aus­glei­ches an dem dafür vorge­se­he­nen Arbeits­tag arbeits­un­fä­hig erkrankt (Az.: 13 Sa 113/90). Eine vorge­se­hene Arbeits­be­frei­ung aufgrund geleis­te­ter Überstun­den diene hiernach nicht der Verschaf­fung einer zu Erholungs­zwe­cken nutzba­ren arbeits­freien Zeit, argumen­tiert das Gericht.

Denn anders als der Urlaub – der, wie schon erfah­ren, ganz klar zur Erholung der Arbeit­neh­me­rin bezie­hungs­weise des Arbeit­neh­mers gedacht ist –, zählt die Freizeit nicht zum (sozusa­gen) „Verant­wor­tungs­be­reich“ des Arbeit­ge­bers.

Das Risiko einer Erkran­kung während des Freizeit­aus­glei­ches wegen Überstun­den trägt damit der Arbeit­neh­mer – genauso wie wenn er sich, beispiels­weise, nach Feier­abend plötz­lich unwohl fühlt. Auch dann kann er, oder sie, die durch Unwohl­sein getrübte arbeits­freie Zeit schließ­lich nicht nachfei­ern! Der Freizeit­aus­gleich steht also, recht­lich gesehen, nicht auf der gleichen Stufe wie der Urlaub.

Tarif­ver­träge (und Betriebs­pra­xis) können abwei­chen

Aller­dings kann im prakti­schen Fall von dieser Linie abgewi­chen werden. Insbe­son­dere dann, wenn Tarif- oder Mantel­ta­rif­ver­träge, Betriebs- oder Dienst­ver­ein­ba­run­gen die Frage anders regeln.

Der § 10 Absatz 4 TVöD beispiels­weise, der für den Öffent­li­chen Dienst in Einrich­tun­gen des Bundes oder der Kommu­nen gilt, regelt expli­zit, dass sich die während des Freizeit­aus­gleichs durch Erkran­kung „versäum­ten“ Tage nachho­len lassen. Unter anderem heißt es:

„Im Falle einer unver­züg­lich angezeig­ten und durch ärztli­ches Attest nachge­wie­se­nen Arbeits­un­fä­hig­keit während eines Zeitaus­gleichs vom Arbeits­zeit­konto […] tritt eine Minde­rung des Zeitgut­ha­bens nicht ein.“

In diesem Sinne urteilte auch das Bundes­ar­beits­ge­richt (BAG) in seiner Revisi­ons­ent­schei­dung vom 23. Februar 2022 (Az.: 10 AZR 99/21) und gab damit einem während der Freistel­lung erkrank­ten Arbeit­neh­mer Recht:

„Die Formu­lie­run­gen [des Tarif­ver­trags, d. Red.] deuten aber darauf hin, dass der Anspruch nicht bereits erfüllt ist, wenn der Arbeit­ge­ber den Arbeit­neh­mer von der Arbeits­pflicht freistellt, indem er die arbeits­freien Tage zeitlich fixiert, sondern erst dann, wenn der Arbeit­neh­mer die Möglich­keit hat, die freien Tage tatsäch­lich zu nutzen. Dies ist während einer Arbeits­un­fä­hig­keit nicht der Fall.“

Für das strit­tige Jahr 2019 ständen dem Kläger demnach zwei weitere Freistel­lungs­tage zu, so die Erfur­ter Bundes­rich­ter. Das Landes­ar­beits­ge­richt hatte in dem Berufungs­ver­fah­ren zuvor ebenfalls dem Arbeit­neh­mer Recht gegeben, und dabei das erstin­stanz­li­che Urteil des Arbeits­ge­richts abgeän­dert.

Grund­lage der Entschei­dung war in diesem Fall der Mantel­ta­rif­ver­trag für die Metall- und Elektro­in­dus­trie Nordrhein-Westfa­lens (MTV), der für das Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis galt.

Vertrags­werke prüfen

Fazit: Ein automa­ti­sches Nachfei­ern von Krank­heits­ta­gen „im Frei“ gibt es (leider) nicht! Um die Frage für den persön­li­chen Fall zu klären, sollte man prüfen, welche Tarif- oder Mantel­ta­rif-Vertrags­werke für das eigene Arbeits­ver­hält­nis gelten, und ob dort solche Bestim­mun­gen stehen.

Denn die Voraus­set­zung ist natür­lich, dass der Tarif­ver­trag, der eine Zeitgut­schrift für die Erkran­kung während des Freizeit­aus­gleichs vorsieht, für die Bewer­tung des Arbeits­ver­hält­nis­ses überhaupt angewen­det werden kann!

Auch in eventu­ell vorhan­de­nen Betriebs- und Dienst­ver­ein­ba­run­gen sollte man nachschauen, oder – ebenfalls, falls vorhan­den – den Betriebs- bezie­hungs­weise Perso­nal­rat oder die Mitar­bei­ter­ver­tre­tung zu Rate ziehen. Denn vielleicht hat es im Betrieb, oder der Einrich­tung, schon mal ähnlich gelagerte Fälle gegeben.

Zu guter Letzt kann man, wenn sich aus dem Vertrags­werk partout kein Anspruch herlei­ten lässt, die eigene Einrich­tung auch einfach um eine Zeitgut­schrift fragen, wenn die genannte Situa­tion eintritt – denn Fragen kostet bekannt­lich nichts …