Kündigung wegen nichtgetragener Schutzausrüstung
Frist­lose Kündi­gung für eine Pflege­rin, da sie sich weigerte die ihr zur Verfü­gung gestellte Schutz­aus­rüs­tung zu tragen. Bild: Marco Di Bella/Evelina Zhukova, Katar­zyna Bialasiewicz/Dreamstime.com

In einem Alten­heim war am 27.3.2020 ein Bewoh­ner positiv auf das Corona-Virus getes­tet worden. Ein anderer Bewoh­ner wies Symptome auf, alle weite­ren wurden in ihren Zimmern isoliert. Der Betrei­ber des Heims hatte zuvor am 2.3.2020 sowie am 20.3.2020 zwei Dienst­be­spre­chun­gen durch­ge­führt, in denen die Mitar­bei­te­rin­nen und Mitar­bei­ter über das Infek­ti­ons­schutz­ge­setz und die Gefah­ren einer Corona-Infek­tion unter­rich­tet wurden.

Aus den Bespre­chun­gen resul­tierte eine schrift­li­che Dienst­an­wei­sung. Der Betrei­ber stellte dem Perso­nal zudem eine persön­li­che Schutz­aus­rüs­tung zur Verfü­gung, bestehend aus dem MSRA-Anzug, einem Mund-Nasen-Schutz, einer Haube, einer Brille und Überschu­hen.

Kündi­gung: Pflege­rin verwei­gert Schutz­aus­rüs­tung

Am Tag der positi­ven Testung des Bewoh­ners ordnete der Betrei­ber eine weitere Bespre­chung an, in der erneut auf die Dienst­an­wei­sung hinge­wie­sen wurde. Um 16 Uhr an diesem Tag traf der Pflege­dienst­lei­ter eine Pflege­rin ohne entspre­chende Schutz­klei­dung in der Küche des Wohnbe­reichs 2 an. Er forderte sie auf, die vollstän­dige Schutz­aus­rüs­tung anzule­gen. Als später die Bereichs­lei­tung in Küche kam, hatte die Pflege­rin noch immer nicht die Schutz­klei­dung angelegt.

Noch am Abend des 27. März entschloss sich der Vorstand des Heims dazu die Pflege­rin frist­los zu kündi­gen und setzte darüber unter anderem die Bereichs­lei­tung und die Mitar­bei­ter­ver­tre­tung in Kennt­nis. Grund war die vorsätz­li­che Nicht­ein­hal­tung der laut Infek­ti­ons­schutz­ge­setz angewie­se­nen Hygiene- und Sicher­heits­maß­nah­men. Die Mitar­bei­ter­ver­tre­tung begrüßte die Entschei­dung: Eine übliche Abmah­nung sei bei der bereits bekann­ten eigen­wil­li­gen Dienst­auf­fas­sung der Pflege­rin nicht angezeigt, da sie wissent­lich und willent­lich andere in Gefahr gebracht habe.

Sieben Perso­nen im Alten­wohn­heim starben

Es erwie­sen sich später 15 Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner des Wohnbe­reichs 2 als mit dem Corona-Virus infiziert. Sieben davon starben infolge der Infek­tion. In dem Wohnbe­reich lebten demente Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner mit Bewegungs­drang, die weder dauer­haft in ihren Zimmern festge­hal­ten noch dazu bewegt werden konnten, außer­halb des Zimmers Maske zu tragen.

Auch die Pflege­rin infizierte sich mit dem Corona-Virus. Der Betrei­ber des Alten­heims kündigte das Arbeits­ver­hält­nis der Parteien außer­or­dent­lich – vorsorg­lich auch ordent­lich – zum 30. Septem­ber 2020. Vor Gericht klagt die Frau gegen diese Entschei­dung. Sie gab an, an den Dienst­be­spre­chun­gen nicht teilge­nom­men zu haben. Außer­dem habe sie in den Zimmern und auf den Fluren des Wohnbe­reichs immer die vollstän­dige persön­li­che Schutz­aus­rüs­tung getra­gen.

Als sie vom Pflege­dienst­lei­ter in der Küche des Wohnbe­reichs aufge­for­dert wurde, ihre Schutz­aus­rüs­tung anzule­gen, habe sie gerade Pause gemacht. Der Wohnbe­reich verfügte über keinen eigenen Sozial­be­reich für Mitar­bei­te­rin­nen und Mitar­bei­ter. Zudem habe nach Aussage der Pflege­rin auch der Pflege­dienst­lei­ter in dieser Situa­tion keine Maske getra­gen.

Die Frau begehrte nun vor Gericht die Feststel­lung der Unwirk­sam­keit der Kündi­gung sowie die Zahlung der monat­li­chen Vergü­tung für April, Mai, Juni, Juli, August und Septem­ber 2020 (jeweils 3.455,10 Euro). Außer­dem beantragt sie die Ausstel­lung eines Zwischen­zeug­nis­ses.

Klage abgewie­sen, Kündi­gung ist rechtens

Die Kläge­rin hatte in erster und zweiter Instanz keinen Erfolg. Das Arbeits­ge­richt Karls­ruhe hat die Klage abgewie­sen und der Wider­klage des beklag­ten Heims statt­ge­ge­ben. Die Beklagte hatte eine Zahlung von 3.677 Euro begehrt. Die außer­or­dent­li­che Kündi­gung hat das Arbeits­ver­hält­nis zum 30. Septem­ber 2020 aufge­löst.

Die Kündi­gung ist nach Auffas­sung des Gerichts nicht unwirk­sam. Der Beklagte fällt unter den Geltungs­be­reich des Kirch­li­chen Geset­zes über Mitar­bei­ter­ver­tre­tung in der Evange­li­schen Landes­kir­che Baden (MVG). Der Beklagte hat nach §45 Absatz 1 MVG das Mitbe­ra­tungs­ver­fah­ren einge­hal­ten, in dem er die Mitar­bei­ter­ver­tre­tung über die beabsich­tigte Kündi­gung im Vorfeld in Kennt­nis setzte, wonach die Mitar­bei­ten­den­ver­tre­tung das Mitbe­ra­tungs­ver­fah­ren tatsäch­lich auch begann.

Auch aus materi­ell­recht­li­chen Gründen ist die Kündi­gung nicht unwirk­sam. Sie erfüllt die in §626 Absatz 1 BGB genann­ten Voraus­set­zun­gen, die an eine außer­or­dent­li­che Kündi­gung gestellt werden. Für den Beklag­ten war es bei Berück­sich­ti­gung aller Umstände und der beider­sei­ti­gen Inter­es­sen unzumut­bar, das Arbeits­ver­hält­nis der Parteien bis zum Auslauf der vertrag­li­chen Kündi­gungs­frist aufrecht­zu­er­hal­ten.

Schwer­wie­gende Pflicht­ver­let­zung der Pflege­rin

Ob die Kündi­gungs­vor­aus­set­zung in solch einem Fall gegeben sind, muss also in zwei Schrit­ten festge­stellt werden. In einem ersten Schritt muss geprüft werden, ob der Kündi­gungs­sach­ver­halt an sich dazu geeig­net ist, als wichti­ger Grund die frist­lose Kündi­gung zu recht­fer­ti­gen. Ist dies der Fall, muss im nächs­ten Schritt geklärt werden, ob das Arbeits­ver­hält­nis bis zum Ablauf der Kündi­gungs­frist fortge­setzt werden kann. Hierbei werden die beson­de­ren Umstände des Einzel­falls sowie die beider­sei­ti­gen Inter­es­sen der Parteien berück­sich­tigt.

In diesem Fall ist von einer schwer­wie­gen­den Pflicht­ver­let­zung der Kläge­rin auszu­ge­hen, die somit einen wichti­gen Grund für eine frist­lose Kündi­gung darstellt. Die Pflege­rin wurde wieder­holt von der Pflege­dienst­lei­tung und Bereichs­lei­tung dazu aufge­for­dert, ihre Schutz­aus­rüs­tung anzule­gen. Als Arbeit­neh­me­rin war die Frau auch in ihrer Pause dazu verpflich­tet, die Verhal­tens­an­wei­sun­gen ihrer Vorge­setz­ten einzu­hal­ten (§ 106 GewO).

Zudem musste sie nach § 241 Absatz 2 BGB Rücksicht auf das berech­tigte Inter­esse der Beklag­ten nehmen, die Heimbe­woh­ne­rin­nen und Heimbe­woh­ner zu schüt­zen. Die Kläge­rin kam aller­dings vorsätz­lich Maßnah­men nicht nach, die dem Schutz von Leib und Leben der durch das Corona-Virus beson­ders gefähr­de­ten Heimbe­woh­ne­rin­nen und Heimbe­woh­ner dienten.

Auch trotz fehlen­der Abmah­nung ist die Kündi­gung nicht unwirk­sam. Auch wenn die Kläge­rin nach 11,5‑jähriger Betriebs­zu­ge­hö­rig­keit grund­sätz­lich ein gewis­ses Maß an Rücksicht­nahme verlan­gen kann, trat dieses berech­tigte Inter­esse hinter dem Inter­esse des Beklag­ten an einer sofor­ti­gen Beendi­gung des Arbeits­ver­hält­nis­ses zurück.

Die Kläge­rin handelte vorsätz­lich entge­gen der Dienst­an­wei­sun­gen und hat gesund­heits- und lebens­er­hal­tende Schutz­maß­nah­men nicht einge­hal­ten. Damit hatte sie den Beklag­ten unter Zugzwang gesetzt, der schnell und eindeu­tig reagie­ren musste.

LAG Baden-Württem­berg vom 10.12.2021 – 12 Sa 46/21