Nach § 6 Absatz 5 ArbZG sollen Nachtarbeitnehmer einen angemessenen Ausgleich für die mit der Nachtarbeit verbundenen Beeinträchtigungen erhalten. Ein Zuschlag in Höhe von 25 Prozent auf das jeweilige Bruttostundenentgelt bzw. die Gewährung einer entsprechenden Zahl von bezahlten freien Tagen stellt regelmäßig einen angemessenen Ausgleich für geleistete Nachtarbeit dar.
Die Parteien streiten über Zuschläge für Nachtarbeit. Die nicht tarifgebundene Beklagte betreibt eine Seniorenresidenz in Freiburg im Breisgau, in der die Klägerin als Altenpflegerin arbeitet. Sie wird als Dauernachtwache zwischen 20:00 Uhr und 6:00 Uhr eingesetzt, was der Normalbelastung einer Nachtarbeitnehmerin entspricht.
Die Beklagte ist nach der Landespersonalverordnung (§ 10 Absatz 1 LPersVO BW) in Verbindung mit dem Wohn‑, Teilhabe- und Pflegegesetz (§ 10 Absatz 3 Nummer 4 Satz 1 Halbsatz 3 WTPG BW) verpflichtet, eine bestimmte Zahl von Beschäftigten, darunter auch Pflegefachkräfte, im Nachtdienst einzusetzen.
Altenpflegerin: Ein Zuschlag von mindestens 25 Prozent sei angemessen
Für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Mai 2016 bis 15 Juni 2017 zahlte die Beklagte an die Klägerin Nachtarbeitszuschläge für 959,4 Stunden in Höhe von 1.779,68 Euro auf der Grundlage von 15 Prozent des Bruttostundenentgelts in Höhe von 12,37 Euro. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe ein Nachtarbeitszuschlag in Höhe von insgesamt 30 Prozent zu. Für Nachtarbeit sei regelmäßig ein Zuschlag von 25 Prozent angemessen, bei Dauernachtarbeit von 30 Prozent.
Der Umstand, dass die Tätigkeit zwingend nachts ausgeführt werden müsse, könne nicht dazu führen, dass der Nachtarbeitszuschlag geringer ausfalle. Die gesundheitlichen Belastungen durch die Nachtarbeit bestünden unabhängig davon, ob die Nachtarbeit vermeidbar oder unvermeidbar sei. In jedem Fall sei eine Beschäftigung in Dauernachtarbeit vermeidbar. Eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 6 Absatz 5 ArbZG stehe einem niedrigeren Nachtarbeitszuschlag entgegen. Daneben habe sie Anspruch auf Verzugspauschalen nach § 288 Absatz 5 Satz 1 BGB in Höhe von 520 Euro.
Das Arbeitsgericht Freiburg hat der Klage mit Versäumnisurteil stattgegeben und das Urteil auf den Einspruch der Beklagten aufrechterhalten. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg das Urteil teilweise abgeändert, das Versäumnisurteil teilweise aufgehoben und der Klägerin lediglich weitere Nachtarbeitszuschläge in Höhe von 5 Prozent des Bruttostundenentgelts und damit 593,88 Euro brutto nebst Zinsen zugesprochen. Im Übrigen hat das Landesarbeitsgericht (LAG) die Klage abgewiesen.
Mit der Revisionen begehrt die Klägerin, dass die erstinstanzliche Entscheidung in vollem Umfang wiederhergestellt wird, und die Beklagte, dass die Klage vollständig abgewiesen wird.
Entscheidung: Nachtarbeitszuschlag von 20 Prozent ist angemessen
Die Revision ist unbegründet. Die Klage ist entsprechend der Entscheidung des LAG Baden-Württemberg teilweise begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf weitere Nachtarbeitszuschläge in Höhe von 593,88 Euro brutto. Das LAG hat den Anspruch auf Nachtarbeitszuschläge in Höhe von 20 Prozent des Bruttostundenentgelts rechtmäßig festgesetzt.
Nach § 6 Absatz 5 ArbZG ist der Arbeitgeber, soweit eine tarifvertragliche Ausgleichsregelung nicht besteht, verpflichtet, dem Nachtarbeitnehmer für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren.
Der Arbeitgeber kann wählen, ob er den Ausgleichsanspruch durch Zahlung von Geld, durch bezahlte Freistellung oder durch eine Kombination von beidem erfüllt. Die gesetzlich begründete Wahlschuld (§ 262 BGB) konkretisiert sich auf eine der geschuldeten Leistungen erst dann, wenn der Schuldner das ihm zustehende Wahlrecht nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ausübt.
Nachtarbeit ist schädlich für die Gesundheit
Nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen ist Nachtarbeit grundsätzlich für jeden Menschen schädlich und hat negative gesundheitliche Auswirkungen. Es ist anerkannt, dass Nachtarbeit umso schädlicher ist, in je größerem Umfang sie geleistet wird. Die Regelungen in § 6 ArbZG sollen in erster Linie dem Schutz des Arbeitnehmers vor den schädlichen Folgen der Nacht- und Schichtarbeit dienen. Den Nachtarbeitnehmern soll ein angemessener Ausgleich für die mit der Nachtarbeit verbundenen Beeinträchtigungen gewährt werden, ohne dass der Gesetzgeber Vorgaben zum Umfang des Ausgleichs macht.
§ 6 Absatz 5 ArbZG begründet einen Anspruch auf bezahlten Freizeitausgleich, nachdem eine gesundheitsschützende Wirkung jedenfalls in den Fällen eintritt, in denen sich die Dauer der zu erbringenden Arbeitszeit für den Arbeitnehmer durch den bezahlten Freizeitausgleich insgesamt verringert und er zeitnah gewährt wird. Soweit ein Nachtarbeitszuschlag vorgesehen ist, wirkt dieser sich auf die Gesundheit des betroffenen Arbeitnehmers nicht aus. Die individuelle gesundheitliche Beeinträchtigung wird vielmehr kommerzialisiert.
Die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers wird verteuert, um auf diesem Weg allgemein Nachtarbeit einzudämmen. Nachtarbeit soll für den Arbeitgeber weniger attraktiv sein. Außerdem soll der Nachtarbeitszuschlag den Arbeitnehmer in einem gewissen Umfang für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben entschädigen. Zwischen den Alternativen des Belastungsausgleichs besteht nach der gesetzlichen Regelung kein Rangverhältnis, vor allem kein Vorrang des Freizeitausgleichs. Die Angemessenheit im Sinne von § 6 Absatz 5 ArbZG ist für beide Alternativen nach einem einheitlichen Maßstab zu beurteilen. Der Umfang der Ausgleichsverpflichtung hängt nicht davon ab, für welche Art des Ausgleichs sich der Arbeitgeber entscheidet.
Vielmehr müssen sich die jeweiligen Leistungen nach ihrem Wert grundsätzlich entsprechen. Ein Zuschlag in Höhe von 25 Prozent auf das jeweilige Bruttostundenentgelt bzw. die Gewährung einer entsprechenden Zahl von bezahlten freien Tagen stellt regelmäßig einen angemessenen Ausgleich für geleistete Nachtarbeit dar.
Eine Erhöhung oder Verminderung des Regelwerts kommt in Betracht, wenn die Umstände, unter denen die Arbeitsleistung zu erbringen ist, den regelmäßig angemessenen Wert von 25 Prozent wegen der im Vergleich zum Üblichen höheren oder niedrigeren Belastung als zu gering oder zu hoch erscheinen lassen.
Wann es zu einer Erhöhung des Nachtarbeitszuschlags kommen kann:
Zu einer Erhöhung kann es kommen, wenn die Belastung durch die Nachtarbeit unter qualitativen (Art der Tätigkeit) oder quantitativen (Umfang der Nachtarbeit) Gesichtspunkten die gewöhnlich mit der Nachtarbeit verbundene Belastung übersteigt.
Das ist regelmäßig der Fall, wenn ein Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag oder nach Ausübung des Direktionsrechts durch den Arbeitgeber dauerhaft in Nachtarbeit tätig wird („Dauernachtarbeit“). Der Anspruch erhöht sich dann in der Regel auf 30 Prozent.
Wann es zu einer Verminderung des Nachtarbeitszuschlags kommen kann:
Ein geringerer als der regelmäßige Zuschlag von 25 Prozent auf das Bruttoarbeitsentgelt kann hingegen genügen, wenn die Belastung durch die Nachtarbeit im Vergleich zu der üblichen Situation geringer ist. Eine Verringerung des Zuschlags mit der Begründung, dass Nachtarbeit unvermeidbar ist, kommt in Betracht, wenn die Nachtarbeit aus zwingend mit der Art der Tätigkeit verbundenen Gründen unvermeidbar ist. Zuletzt ist hierzu einschränkend angenommen worden, dass ein „Abweichen nach unten“ nur dann möglich ist, wenn – wie etwa im Rettungswesen – überragende Gründe des Gemeinwohls die Nachtarbeit zwingend erfordern.
Vor diesem Hintergrund hält hier die Bewertung eines Nachtarbeitszuschlags in Höhe von 20 Prozent als angemessen im Sinne von § 6 Absatz 5 ArbZG der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Bei dem Merkmal „angemessen“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum einräumt.
Rechtskräftige Entscheidung des Landesarbeitsgerichts
Das LAG hat den Begriff der Angemessenheit rechtmäßig interpretiert und anschließend die Höhe des als angemessen anzusehenden Zuschlags beanstandungsfrei modifiziert. Auch der deutliche Abschlag in Höhe von zehn Prozentpunkten hält sich noch im Rahmen des dem Gericht zukommenden Beurteilungsspielraums. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Lenkungszweck andererseits bei einem Ausgleich nach § 6 Absatz 5 ArbZG in Geld nicht der „überbordende und wichtigste“ Zweckanteil. Bei unvermeidbarer Nachtarbeit muss der Abschlag daher nicht,wie die Beklagte meint, mindestens 15 Prozentpunkte betragen. Der als angemessen betrachtete Zuschlag von 20 Prozent greift daher nicht unverhältnismäßig in das Recht der beklagten Arbeitgeberin aus Artikel 12 Absatz 1 GG unter dem Gesichtspunkt der Berufsausübungsfreiheit ein.
Der Ausgleich für besondere Belastungen durch Nachtarbeit entspricht einem Gemeinwohlziel, das auf vernünftigen Erwägungen beruht. Ein Zuschlag in Höhe von 20 Prozent ist geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinn, diese Zwecke zu erreichen.
Schließlich ergibt sich ein Anspruch auf einen höheren Nachtarbeitszuschlag als von 20 Prozent entgegen der Auffassung der Klägerin nicht aus unionsrechtlichen Erwägungen. Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen nach § 6 Absatz 5 ArbZG sind erfüllt. Tarifvertragliche Ausgleichsregelungen bestehen nicht. Die Klägerin ist Nachtarbeitnehmerin im Sinne von § 2 Absatz 5 Nummer 2 ArbZG. Mit der Leistung von Nachtarbeitszuschlägen hat die Beklagte von ihrem Wahlrecht nach § 262 BGB Gebrauch gemacht.
Der Höhe nach besteht für den Zeitraum vom 1. Mai 2016 bis 15. Juni 2017 Anspruch auf rechnerisch unstreitige Nachtarbeitszuschläge von 593,88 Euro brutto (12,37 Euro * 959,4 Stunden * 20 Prozent abzüglich gezahlter 1.779,68 Euro). Der Zinsanspruch beruht auf §§ 29, 288 Absatz 1 Satz 2 BGB. Auf die Pauschalen nach § 288 Absatz 5 Satz 1 BGB in Höhe von insgesamt 520 Euro hat die Klägerin keinen Anspruch.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Hinweis: Nachtzuschläge sind steuerfrei. Zur Berechnung ist der Grundlohn mit dem Prozentsatz des Zuschlags auf den Grundlohn mal den Arbeitsstunden zu multiplizieren, die in der Nachtzeit gearbeitet worden sind.