Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat seine Pläne für eine Pflegereform gegen Kritik verteidigt. „Da die Kosten von guter Pflege ständig steigen, darf die Solidargemeinschaft nicht wegschauen und diese höheren Kosten den zu Pflegenden und ihren Angehörigen überlassen“, erklärte der Minister.
Gleichzeitig müsse die Finanzierung der Pflegeversicherung angesichts eines Milliardendefizits stabilisiert werden.
Dafür soll der allgemeine Pflegebeitrag auf ein Rekordhoch steigen. Pflegebedürftige zu Hause und im Heim sollen zudem Anfang 2024 finanzielle Verbesserungen erhalten.
Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat das Kabinett beschlossen. Die vorangegangene Abstimmung zwischen den Ministerien dauerte dabei länger als gedacht. Lauterbach musste das Gesetz auf Druck des Finanzministeriums noch einmal anpassen. Die Leistungsverbesserungen fallen nun deutlich geringer aus als ursprünglich geplant, um die Pflegeversicherung finanziell nicht zu überlasten.
Unter anderem soll der gemeinsame Jahresbetrag für Verhinderungs- und Kurzzeitpflege nicht wie angekündigt kommen, was die Pflegekassen um rund 500 Millionen Euro entlastet.
Zudem verzichtet Lauterbach auf mehrere Förderprogramme, unter anderem für Modellvorhaben in Kommunen und zur Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf. Insgesamt soll das die Mehrausgaben der Pflegekassen von drei auf zwei Milliarden Euro verringern
Lauterbachs Pflegereform: Höhere Beiträge
Zum 1. Juli soll der allgemeine Beitragssatz zur Pflegeversicherung um 0,35 Punkte angehoben werden. Jetzt liegt er bei 3,05 Prozent des Bruttolohns und für Menschen ohne Kinder bei 3,4 Prozent. Das ergäbe für 2023 noch 3,15 Milliarden Euro extra und von 2024 an jährliche Mehreinnahmen von 6,6 Milliarden Euro. Auch der Arbeitgeberanteil steigt und beträgt immer 1,7 Prozent.
Damit läge die Summe aller Sozialbeiträge zur Renten‑, Kranken‑, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung ab Juli bei 40,8 Prozent. Für Kinderlose überträfe sie die 41-Prozent-Marke.
Die Beitragssprünge alarmieren Unternehmen, die sich durch die Inflation ohnehin steigenden Kosten gegenübersehen. „In kaum einem anderen Land bleibt den Beschäftigten so wenig von ihrem erwirtschafteten Einkommen wie in Deutschland“, so die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) zu den Plänen.
Beitragsentlastung für große Familien
Laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts müssen Eltern mit mehreren Kindern bessergestellt werden als kleine Familien und Kinderlose. Der Gesetzentwurf sieht deswegen vor, den Kinderlosenzuschlag von 0,35 auf 0,6 Prozentpunkte anzuheben. So läge der Gesamtbeitrag für sie dann bei 4,0 Prozent.
Bei Familien könnten, beginnend mit dem zweiten Kind, gestaffelte Abschläge vom regulären Satz von künftig 3,4 Prozent kommen: Bei zwei Kindern läge der Beitrag bei 3,15 Prozent, bei drei Kindern bei 2,9 Prozent, bei vier Kindern bei 2,65 Prozent und bei fünf Kindern und mehr bei 2,4 Prozent.
Die genannten Abschläge gelten allerdings nur, solange alle jeweils zu berücksichtigenden Kinder unter 25 Jahre alt sind. Die Entlastung fällt damit nicht nur geringer aus als ursprünglich geplant, da keine Altersgrenze vorgesehen war. Unternehmen warnen auch vor mehr Bürokratie.
„Arbeitgeber müssen in vielen Millionen Fällen Geburtsnachweise der Kinder ihrer Beschäftigten einsammeln, um die neue, kinderzahlabhängige Gestaltung der Pflegebeiträge umzusetzen“, sagte BDA-Chef Steffen Kampeter.
Höheres Pflegegeld
Das zuletzt 2017 erhöhte Pflegegeld soll zum 1. Januar 2024 um fünf Prozent steigen, genauso wie das Geld für Sachleistungen. Pflegegeld wird als Unterstützung gezahlt, wenn Pflegebedürftige nicht in Einrichtungen sind. Sie können es frei verwenden, etwa für Betreuung. Je nach Pflegegrad bekommen sie zwischen 316 und 901 Euro im Monat.
Eigentlich hätte das Pflegegeld aber nach seiner letzten Erhöhung im Jahr 2017 bereits 2021 angehoben werden sollen. Das geplante Plus fällt deswegen nach Ansicht der Kassen und Sozialverbände nicht groß genug aus.
Für Pflegeheimbewohner steigen die Eigenanteile seit Jahren. Auch mit den 2022 eingeführten Entlastungszuschlägen, die mit der Pflegedauer steigen. Sie sollen dem Gesetzentwurf zufolge ab 1. Januar 2024 angehoben werden.
Den Eigenanteil für die reine Pflege soll dies im ersten Jahr im Heim um 15 statt bisher fünf Prozent drücken, im zweiten um 30 statt 25 Prozent, im dritten um 50 statt 45 Prozent und ab dem vierten Jahr um 75 statt 70 Prozent.
Pflegeversicherung übernimmt nur Teil
Hintergrund ist, dass die Pflegeversicherung, anders als die Krankenversicherung, nur einen Teil der Kosten für die reine Pflege trägt. Im Heim kommen Zahlungen für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen dazu.
Vorgesehen ist auch ein Mechanismus, um Geld- und Sachleistungen regelmäßig anzupassen. Zum 1. Januar 2025 soll laut Entwurf ein Plus von fünf Prozent kommen. Zum 1. Januar 2028 sollen die Leistungen dann „regelhaft in Anlehnung an die Preisentwicklung automatisch dynamisiert“ werden.
Gleichzeitig muss Lauterbach umfassende Sparvorschläge erarbeiten, um die Pflegeversicherung zu entlasten.
„So kann es nicht weitergehen“, sagte Lauterbach angesichts stetig steigender Ausgaben der Pflegeversicherung. Eine Kommission werde deshalb nun Vorschläge erarbeiten. „Wir müssen darüber nachdenken, wie wir das System weiterentwickeln, beispielsweise in Richtung einer Vollkaskoversicherung.“
Pflegebeitrag: Grüne wollen Nachbesserungen
Die Beratungen in der Koalition dürften schwierig werden. Das Gesetz muss noch im Bundestag verabschiedet werden. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Maria Klein-Schmeink, sagte, der Entwurf bringe „Verbesserungen für die Pflegebedürftigen und die Pflegenden“. Kritik gibt es aber daran, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarten Mittel zur Steuerfinanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben nicht bereitgestellt werden.
Dies sind insbesondere die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige in Höhe von 3,7 Milliarden Euro im Jahr und die Kosten für Pflegeausbildung in Höhe von 750 Millionen Euro.
„Da diese Ausgaben weiter von den Beitragszahlern getragen werden, werden diese nicht entlastet“, sagt sie. Zudem fehle die vereinbarte Vereinfachung bei der Beantragung der Entlastungsleistung in der häuslichen Pflege. „In all diesen Punkten werden wir im parlamentarischen Verfahren auf Nachbesserungen dringen“, sagt sie.
Kritik kam auch von den Kassen. Die Reform greife nur einige Punkte auf, gerate aber deutlich zu kurz.
„Die Bundesregierung verfehlt die selbst gesetzten Ziele aus dem Koalitionsvertrag“, sagte Gernot Kiefer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen.
Die Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen, Ulrike Elsner, erklärte, der Entwurf biete „keine Perspektive für eine langfristige Lösung der Probleme der Pflegebedürftigen und der sozialen Pflegeversicherung“.
Quellen: BMG, BVG, Bündnis 90/Grüne, GKV, VDEK