Katzenbiss: Drei Wundrevisionen bis zur Amputation
Der Kläger wurde am 2. Juni 2006 von seiner Katze am linken Zeigefinger gebissen und begab sich am Folgetag in die beklagte Klinik. Nach dem Katzenbiss wurde eine Beugesehnenscheidenentzündung diagnostiziert und der Finger noch am selben Abend operiert.
Im OP-Bericht, welcher erst rund einen Monat später erstellt wurde, heißt es: „Im Verlauf des Débridements zeigt sich, dass die Tenosynovialitis bereits nach proximal hin vorangeschritten ist. Daher Entschluss zum weiteren operativen Vorgehen im Bereich der Hohlhand. Dazu wird die Schnittführung in Richtung Karpalkanal erweitert.“
Am 6. Juni wurde der Kläger unter rückläufigen Entzündungsparametern in die ambulante Behandlung entlassen. Am Folgetag zeigte sich bei der Kontrolluntersuchung eine ausgedehnte Phlegmone am Unterarm, weshalb sich der Kläger einer erneuten operativen Revision unterzog. Zudem wurde am selben Tag mit einer Antibiose (3 x 2,2 g Augmentan) begonnen.
Am 12. Juni kam es im Rahmen einer „Second-Look-Operation“ zu einer neuerlichen Wundrevision. Außerdem wurde die Antibiose umgestellt (3 x 1,5 g Cefazolin bis zum 16. Juni und danach 2 x 500 g Zinat bis zum 25. Juni 2006).
Da sich die Wundsituation jedoch nicht besserte, in der Handinnenfläche zeigte sich eine Wundrandnekrose, kam es am 15. Juni schließlich zur Amputation des Fingers. Am 20. Juni wurde eine Spalthauttransplantation vom Oberschenkel auf Restweichteildefekte des Unterarms durchgeführt und der Kläger am 29. Juni aus der Klinik entlassen.
Klage wegen behaupteter Behandlungsfehler und „zu später“ Dokumentation
Seit der Amputation leidet der Kläger unter „Phantomschmerzen“ am fehlenden Finger, an witterungsabhängigen Schmerzen in der kompletten linken Hand und über Funktionsstörungen, beispielsweise beim Tragen von Gegenständen.
In erster Instanz behauptete der Kläger, es hätte während der Wundrevisionen zwei Behandlungsfehler gegeben. Zum einen hätte die Operationswunde am 3. Juni nicht verschlossen werden dürfen, zum anderen hätte man an diesem Tag bereits mit der Antibiose beginnen müssen.
Das Landgericht Halle hat die Klage des Mannes abgewiesen (Az.: 6 O 55/09), da ein Behandlungsfehler aus der Beweisaufnahmen nicht hervorgeht.
In seiner Berufung wiederholte der Kläger die Vorwürfe und ergänzt, dass es am 3. Juni keine Schnitterweiterung gegeben habe. Zudem zweifelt er den Beweiswert des OP-Berichts von diesem Tage an, da dieser erst einen Monat später erstellt worden ist. Zu diesem Zeitpunkt habe sich der Kläger bereits mehreren Folgeoperationen unterziehen müssen.
Ordnungsgemäße Dokumentation ist Beweis genug
Auch die Berufung vor dem OLG Naumburg hatte keinen Erfolg (Urteil vom 15. November 2011 – 1 U 31/11). In der Berufungsinstanz ist alleine die Frage relevant, ob die Operation am 3. Juni wie im Bericht dokumentiert und demnach standardgemäß, insbesondere im Hinblick auf die Erweiterung der Schnittführung in Richtung Karpalkanal, erfolgt ist.
Ob mit der Antibiose schon früher hätte begonnen werden müssen, kann im Ergebnis dahinstehen. Ob sich an der Entzündungssituation dann etwas geändert hätte, sei ohnehin nicht festzustellen. Der Beginn der Antibiose am 6. Juni ist demnach nicht grob fehlerhaft einzustufen, dem Kläger fehlen hierfür die Kausalitätsbeweise.
Zugunsten des Klägers ist davon auszugehen, dass die OP nur dann standardgemäß erfolgt ist, wenn die dokumentierte Schnitterweiterung tatsächlich durchgeführt wurde.
Es gilt jedoch der Grundsatz: Einer formell und materiell ordnungsgemäßen Dokumentation kann bis zum Beweis der Gegenteils Glauben geschenkt werden. Um die Annahme der Vollständigkeit zu erschüttern, müssen konkret erkennbare Anhaltspunkte vorliegen. Beispielhaft zu nennen sind hierfür nachträgliche Änderungen oder das Verfassen des Berichts mit großen zeitlichem Abstand zur Operation.
Gerügt wird dabei allein der zeitliche Abstand von einem Monat zwischen Eingriff und Dokumentation. In diesem Fall ist dabei jedoch zu berücksichtigen, dass der Kläger in kurzen Abständen mehrfach an der selben Stelle operiert worden ist und zudem über alle Folgeeingriffe zeitnah erstellte Dokumentationen existieren.
In keinem Bericht ist dabei ein Anhaltspunkt zu finden, dass die Schnitterweiterung am 3. Juni, wie vom Kläger behauptet, nicht durchgeführt wurde. Die Schnitterweiterung stellt dabei auch die Voraussetzung für das Débridement in der Wundrevision dar, welches somit ebenfalls korrekt erfolgte. Somit ist der zeitliche Abstand zur Dokumentation im vorliegenden Fall nicht urteilslenkend.
Zudem wusste der Kläger von vornherein über den Umfang der Wundrevision. Er hätte diese somit frühzeitig ablehnen können. Er bestritt den Umfang der OP jedoch erst, als er erkennen musste, dass er mit den von ihm behaupteten Behandlungsfehlern in erster Gerichtsinstanz keine Aussicht auf Erfolg hatte.
Berufung gegen Katzenbiss-Urteil ohnehin erfolglos
Ob eine bestimmte Handlung, wie hier die Schnitterweiterung, vorgenommen wurde oder nicht, ist keine gutachterliche Bewertung, sondern ein Tatbestand.
Daraus folgt zum einen: Das Landgericht hat in erster Instanz keinen Verfahrensfehler begangen. Zum anderen handelt es sich bei den Anklagepunkten in dem nach Schluss der erstinstanzlichen Verhandlungen eingegangenen, nicht nachgelassenem Schriftsatz, um ein (ausgeschlossenes) neues Vorbringen in Bezug auf das Berufungsverfahren im Sinne von § 531 Absatz 2 ZPO.
Der Umstand der unterbliebenen Schnitterweiterung konnte daher nicht angewendet werden, diesen Vorwurf hätte der Kläger bereits in erster Instanz vorbringen müssen. Die Berufung konnte damit ohnehin keinen Erfolg haben, selbst wenn man von einem Fehler in der Wundrevision zugunsten des Klägers ausgeht.
Quelle: OLG Naumburg vom 15. November 2011 – 1 U 31/11 = RDG 2012, S. 182 ff.