Der Sachver­halt

Die Kranken­schwes­ter ist seit 1991 in einem Kranken­haus in Hamburg in der Zentra­len Notauf­nahme beschäf­tigt und hat dort auch ihre Ausbil­dung gemacht. In dem Aufent­halts­raum für externe Mitar­bei­ter, wie beispiels­weise die Rettungs­sa­ni­tä­ter, werden von der Klinik­be­trei­be­rin kosten­los Softdrinks, Obst und Pausen­bröt­chen zur Verfü­gung gestellt. In der Frühschicht begab sich die Kranken­schwes­ter in den Aufent­halts­raum und nahm sich ein Tablett mit acht beleg­ten Brötchen, Mitar­bei­ter konnten sie dabei beobach­ten. Die Brötchen wurden anschlie­ßend von ihren Kolle­gen aus der Schicht verzehrt, sie selbst hat auch mindes­tens eine Brötchen­hälfte geges­sen.

Darauf­hin kam es zu einer Anhörung der Kranken­schwes­ter vor dem Betriebs­rat, der Pflege­di­rek­to­rin, der pflege­ri­schen Leitung der Zentra­len Notauf­nahme sowie der Perso­nal­re­fe­ren­tin. Bei diesem Gespräch erklärte sie, dass sie die Brötchen genom­men habe, da ihr eigenes Essen aus dem Kühlschrank gestoh­len worden sei. Es sei ihr auch bewusst gewesen, dass sie keine Erlaub­nis dazu hatte, die Brötchen zu entwen­den. Obwohl der Betriebs­rat einer Kündi­gung wider­sprach, sprach sich die Klinik­be­trei­be­rin für eine außer­or­dent­li­che und frist­lose Kündi­gung aus. Hilfs­weise forderte sie die außer­or­dent­li­che Kündi­gung mit einer sozia­len Auslauf­frist ein. Die Kranken­schwes­ter erhob Kündi­gungs­schutz­klage und beantragte die Feststel­lung, dass ihr weder außer­or­dent­lich noch mit Auslauf­frist gekün­digt werden könne.

Entschei­dung

Für die Entschei­dung kommen in diesem Fall zwei Paragra­fen in Betracht. Gemäß § 34 Abs. 2 TV-KAH ist die Kläge­rin ordent­lich unkünd­bar, sodass das Arbeits­ver­hält­nis ausschließ­lich aus einem wichti­gen Grund gekün­digt werden kann. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeits­ver­hält­nis aus wichti­gem Grund auch ohne Einhal­tung einer Kündi­gungs­frist gekün­digt werden. Dazu müssen Tatsa­chen vorlie­gen, aufgrund derer dem Kündi­gen­den (hier die Klinik­be­trei­be­rin) die Fortset­zung des Arbeits­ver­hält­nis­ses bis Ablauf der Kündi­gungs­frist nicht zumut­bar ist. Dazu müssen alle Umstände des Einzel­falls berück­sich­tigt und die Inter­es­sen beider Vertrags­teile abgewo­gen werden.

In diesem konkre­ten Fall hat sich ergeben, dass die Entwen­dung sowie der Verzehr der Brötchen ohne Geneh­mi­gung durch­aus ein schwer­wie­gen­der Verstoß gegen die arbeits­ver­trag­li­chen Pflich­ten ist. Wenn ein Arbeit­neh­mer rechts­wid­rig und vorsätz­lich gegen das Vermö­gen des Arbeit­ge­bers handelt, verletzt er seine Pflicht zur Rücksicht­nahme nach § 241 Abs. 2 BGB und missbraucht das Vertrau­ens­ver­hält­nis. Durch die Wegnahme der Brötchen wurde gegen diese Pflicht versto­ßen und eine außer­or­dent­li­che Kündi­gung käme in Betracht. Dabei ist der Wert der Brötchen übrigens nicht ausschlag­ge­bend. Dennoch wurde die Klage der Kranken­schwes­ter gegen ihre Kündi­gung als begrün­det befun­den. Das Arbeits­ver­hält­nis wurde nicht beendet, weder außer­or­dent­lich und frist­los noch mit Auslauf­frist. Entschei­dend waren die Umstände dieses Einzel­falls und die Abwägung der Inter­es­sen beider Parteien.

Man kann davon ausge­hen, dass die Kranken­schwes­ter den Vertrags­ver­stoß nicht heimlich gemacht hat, da sie die Brötchen ganz offen unter Beobach­tung anderer entwen­det hat. Außer­dem ist von Relevanz, dass sie seit über 23 Jahren in dem Betrieb angestellt ist, ohne dass es je zu Beanstan­dun­gen gekom­men ist. Daher ist die bis dahin ungestörte Vertrau­ens­be­zie­hung nicht schon durch dieses einma­lige Verge­hen unwider­ruf­lich zerstört. Zwar hat die Kranken­schwes­ter aufgrund ihres jungen Alters noch gute Chancen auf dem Arbeits­markt, jedoch ist zu berück­sich­ti­gen, dass sie allein­er­zie­hende Mutter zweier Kinder ist und dementspre­chend ihrer Unter­halts­pflicht nachge­hen muss. Deshalb fällt die Inter­es­sen­ab­wä­gung in diesem Fall zuguns­ten der Kläge­rin aus.

Generell ist es der Klinik­be­trei­be­rin zumut­bar, mit der Kläge­rin weiter­hin zusam­men­zu­ar­bei­ten. Vor allem, weil die Kläge­rin Reue zeigte und man davon ausge­hen kann, dass eine solche Tat nicht noch mal vorkommt. Eine Abmah­nung als milde­res Mittel wäre in diesem Fall ausrei­chend gewesen, um das verlo­ren gegan­gene Vertrauen wieder­her­zu­stel­len. Die Klinik­be­trei­be­rin ist also in diesem Fall verpflich­tet, das Arbeits­ver­hält­nis mit der Kläge­rin fortzu­füh­ren.