Müllaufkommen durch Einwegprodukte der Schutzausrüstung während der Corona-Krise.
Müllauf­kom­men durch Texti­lien der Schutz­aus­rüs­tung während der Corona-Krise. Bild: Tatyana Aksenova/Dreamstime.com

Die ersten Nachrich­ten über die Reise­be­we­gun­gen von COVID-19-infizier­ten Perso­nen aus den asiati­schen Ursprungs­ge­bie­ten in unsere europäi­schen und deutschen Regio­nen lasen sich zu Jahres­be­ginn noch wie Science-Fiction. Durch die langsam gewon­ne­nen Erkennt­nisse zu den Auswir­kun­gen von zum Beispiel regio­na­len Karne­vals­ver­an­stal­tun­gen als Super-Sprea­der-Events wurde die Gefähr­dung für jeden deutlich greif­ba­rer. Schon bald zeich­nete sich eines der großen Probleme zu Beginn der Corona-Krise ab: Mund-Nasen-Schutz­mas­ken? Schutz­män­tel und ‑overalls? Fehlan­zeige! Es mangelte an ausrei­chen­der Schutz­aus­rüs­tung für das Gesund­heits­per­so­nal und die Bevöl­ke­rung, um den notwen­di­gen Schutz vor dem neuen Virus zu gewähr­leis­ten.

Herstel­ler von Einweg­pro­duk­ten bestim­men den Markt

Schnell wurden sämtli­che Ressour­cen ausge­schöpft und neue Wege gebahnt, um Materia­lien wie Schutz­mas­ken, Schutz­män­tel und ‑overalls zu beschaf­fen, herzu­stel­len und an die richti­gen Stellen zu vertei­len. Dazu zählen allen voran auch die vielen hilfs­wil­li­gen und innova­ti­ven Branchen­teil­neh­mer der Textil­ser­vice­indus­trie, die versu­chen mit Mehrweg­tex­ti­lien dem Mangel vor allem im Bereich der medizi­ni­schen Mund-Nasen-Schutz­mas­ken entge­gen­zu­tre­ten und die Bedarfs­stel­len dadurch – nachhal­tig – zu unter­stüt­zen.

Neben dem großen Vorteil der regio­na­len Beschaf­fungs­mög­lich­kei­ten von Mehrweg­ar­ti­keln haben die Branchen­teil­neh­mer der Textil­ser­vice­indus­trie noch ein weite­res Argument auf ihrer Seite: Durch intel­li­gente Kreis­lauf­wirt­schafts­mo­delle verrin­gern sie die unglaub­li­chen Mengen an zusätz­li­chem Müll und stellen zugleich für die Mehrweg­ar­ti­kel mindes­tens das gleiche oder sogar ein höheres Hygie­ne­ni­veau gegen­über Einweg­ar­ti­keln bereit. Und trotz­dem: Einige der einst­mals engagier­ten Branchen­teil­neh­mer in dieser Wertschöp­fungs­kette haben sich aus diesem kurzfris­tig aufge­bau­ten Geschäfts­feld wieder zurück­ge­zo­gen oder ihre Aktiv­tä­ten zumin­dest zurück­ge­fah­ren. Woran liegt das?

Der Wilde Westen ist in unserem Vorgar­ten

Politik und Gesund­heits­we­sen, natio­nal und europä­isch, gerie­ten in einen aufge­zwun­ge­nen Reakti­ons­mo­dus, hatten kaum noch eigene Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten. Der Versuch, sich in der Beschaf­fung auf inter­na­tio­nal geltende Quali­täts­si­che­rungs­ver­ein­ba­run­gen und Normen zu berufen, lief ins Leere. Mehr als 50 Prozent der jahre­lang durch Rahmen­ver­ein­ba­run­gen beschaff­ten Gesichts- und Schutz­mas­ken erfüll­ten bei genaue­rem Hinse­hen nicht die von ihren Herstel­lern dekla­rier­ten Eigen­schaf­ten und Schutz­stu­fen: Nur beispiel­haft sei hier der Ärger der Unikli­nik Münster genannt, die 50.000 bestellte und dringend benötigte Masken der Schutz­stufe FFP2 nach Liefe­rung im April 2020 stich­pro­ben­weise prüfen ließ. Bei dieser Quali­täts­prü­fung der neuen Masken stellte sich heraus, dass die Masken nur zu 40 Prozent dicht sind. Sie sollen es aber zu 95 Prozent sein. Darauf­hin wurden die undich­ten Atemschutz­mas­ken sofort zurück­ge­schickt. Ähnli­ches wider­fuhr auch dem Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­te­rium, das zentral beschaffte Masken an Arztpra­xen auslie­ferte.

Ungül­tige oder gar gefälschte Zerti­fi­kate von Herstel­lern und Prüfin­sti­tu­ten komplet­tie­ren den Eindruck: der Wilde Westen ist in unserem Vorgar­ten.

Verschie­dene inter­na­tio­nale Normen bestim­men die Quali­täts­an­for­de­run­gen

Es ist aber auch verwir­rend: Allein für die Produkt­gruppe der Atemschutz­maske, die bei uns unter dem allseits bekann­ten Kürzel „FFP2“ bekannt und als Produkt der Persön­li­chen Schutz­aus­rüs­tung dekla­riert ist, konkur­rie­ren neben der Europäi­schen Norm 149 fünf weitere regio­nale oder inter­na­tio­nale Normen um die Deutungs­ho­heit für Quali­täts­an­for­de­run­gen an diese Produkt­gruppe:

  • das Kürzel „N95“ des ameri­ka­ni­schen NIOSH (Natio­nal Insti­tute for Occupa­tio­nal Safety and Health)
  • „KN95“ als chine­si­sche Ausprä­gung
  • „P2“ der Nachbar­re­gion Austra­lien und Neusee­land
  • die „Korea 1st Class“-Spezifikation
  • und die japani­schen „DS“-Anforderungen

Zwar bewegen sich die einzel­nen Techni­schen Spezi­fi­ka­tio­nen entlang vergleich­ba­rer Leistungs­cha­rak­te­ris­tika, werden jedoch mit unter­schied­li­chen Mindest­leis­tungs­an­for­de­run­gen belegt. Kaum anders sieht es mit den Leistungs­an­for­de­run­gen für den „Medizi­ni­schen Mund-Nasen­schutz“ aus, die in Europa durch die EN 14683 definiert werden, in anderen Regio­nen der Welt beispiels­weise als YY0469 (China) oder ASTM F2100/2101 (USA).

Schnell­warn­sys­tem „RAPEX“ warnt vor unsiche­ren Import-Produk­ten

Um Arbei­ten­den und Patien­ten den notwen­di­gen Schutz gewäh­ren zu können, wird die Konfor­mi­tät von beschaff­ten und gelie­fer­ten Masken seit einigen Monaten durch ein zusätz­li­ches „verein­fach­tes Prüfver­fah­ren“ abgesi­chert, das von akkre­di­tier­ten Prüfin­sti­tu­ten durch­ge­führt wird – eine notwen­dige Sicher­heits­schleife, denn zum Zeitpunkt dieses Artikels sind im Schnell­warn­sys­tem „RAPEX“ der Europäi­schen Kommis­sion für Produkt­si­cher­heit über 100 Warnun­gen vor unsiche­ren Import-Produk­ten allein für den Begriff „Atemfil­tra­ti­ons­maske“ aufge­führt.

Von „Mehrweg“: keine Spur

Wer nun einen genauen Blick auf die genann­ten Normen und Standards wirft, der wird aber vor allem eines vergeb­lich suchen: Das Wort „Mehrweg“ ist stark unter­re­prä­sen­tiert, die Normen sind fokus­siert auf Einweg­pro­dukte. Und das bekamen die engagier­ten Branchen­teil­neh­mer der Textil­ser­vice­indus­trie bitter zu spüren.

Wer Mehrweg­mas­ken herstel­len wollte, aber nicht ausrei­chend eigene Produk­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten besaß, für den war es schwie­rig, in Deutsch­land externe Konfek­ti­ons­res­sour­cen zu aktivie­ren. Oft standen sie mit – teils aus hochqua­li­fi­zier­tem Barrie­re­ma­te­rial herge­stell­ten – Mehrweg-Masken­mo­del­len einweg­ori­en­tier­ten Produk­ti­ons­be­din­gun­gen und einweg­ori­en­tier­ten norma­ti­ven Vorga­ben gegen­über.

Mussten diese Herstel­ler lange Warte­zei­ten für die Prüfung ihrer Produkte in völlig überlas­te­ten Prüfin­sti­tu­ten nach unpas­sen­den Normen überbrü­cken, dann wurde ihnen zudem aufer­legt, als Ersatz für ein vollstu­fi­ges Konfor­mi­täts­be­wer­tungs­ver­fah­ren beim Bundes­in­sti­tut für Arznei­mit­tel und Medizin­pro­dukte vorab eine Sonder­zu­las­sung gemäß § 11 Absatz 1 des Medizin­pro­duk­te­ge­set­zes (MPG) zu erlan­gen. Nur dann konnten sie ihre Ware in Deutsch­land ohne CE-Kennzeich­nung in Verkehr bringen.

Haben die Branchen­teil­neh­mer diesen Weg erfolg­reich beschrit­ten, so müssen sie anschlie­ßend poten­zi­el­len Abneh­mern den Vorteil eines Mehrweg­pro­duk­tes und die Poten­ziale der Kosten­de­gres­sion durch Mehrfach­nut­zung erläu­tern. Mag das im persön­li­chen und direk­ten Akqui­se­ver­hält­nis noch funktio­nie­ren, so ist die Teilnahme an öffent­li­chen Ausschrei­bun­gen zur Beschaf­fung von Masken und Schutz­män­teln kaum mehr möglich.

Einweg wird aus vermeint­lich wirtschaft­li­chen Gründen bevor­zugt

Zwar wollen die verant­wort­li­chen Minis­te­rien bei der Beschaf­fung von Schutz­ma­te­rial den Fokus auf regio­nale Herstel­ler und Handels­or­ga­ni­sa­tio­nen legen, jedoch verge­ben sie die Ausschrei­bungs­de­fi­ni­tion und ‑organi­sa­tion aus Ressour­cen­grün­den an Beratungs­un­ter­neh­men, deren Krite­rien für Zuschläge trotz der außer­ge­wöhn­li­chen Bedarfs­si­tua­tion tradi­tio­nell sind:

  • Sie sind preis­fo­kus­siert
  • Eine Möglich­keit, Kosten per Nutzungs­zy­klus anzuge­ben, ist in den Verga­be­un­ter­la­gen nicht vorge­se­hen
  • Eine Mehrweg­maske für sechs Euro verliert in der Wertung gegen ein Einweg­pro­dukt für 0,60 Euro

Eine Mehrweg­maske kann bis zu sechzig Mal aufbe­rei­tet werden. Tatsäch­lich liegt damit der Bereit­stel­lungs­preis pro Nutzungs­zy­klus beim Mehrweg­pro­dukt mit 0,25 bis 0,30 Euro um ein Vielfa­ches gerin­ger als beim Einweg­pro­dukt.

Und zuletzt wird der Einweg-„Kreislauf“ auch auf Abneh­mer­seite mitge­tra­gen: Hier ist man heilfroh alleine darüber, dass die Liefer­ket­ten aus Asien zumin­dest halbwegs repariert, dass die gröbs­ten Konfor­mi­täts- und Zerti­fi­kats­schnit­zer aus dem Markt berei­nigt wurden. Dass die Beschaf­fungs­preise von Einweg­pro­duk­ten heute um ein Vielfa­ches höher liegen als vor COVID-19 Liefer­eng­päs­sen, das wird zähne­knir­schend hinge­nom­men. Dass die unglaub­li­chen Mengen an zusätz­li­chem Müllauf­kom­men durch intel­li­gente Kreis­lauf­wirt­schafts­mo­delle verrin­gert werden können, das wird ausge­blen­det.