Pflegenotstand: Fachkräfte in der Altenpflege dringend gesucht
Die Zahlen sind eindeutig: Im Jahr 2020 kamen laut einem Bericht der Bundesagentur für Arbeit auf 100 gemeldete freie Stellen in der Altenpflege nur 26 gemeldete Arbeitslose. Gleichzeitig stieg der Lohn für Fachkräfte um 4,7 Prozent. Dies scheint als Anreiz allerdings nicht auszureichen, vor allem, da die offiziellen Stellen den tatsächlichen Pflegebedarf nicht vollständig abbilden: Laut Experten fehlten 2020 sogar 120.000 Fachkräfte, um pflegebedürftige Menschen in Altersheimen gut zu betreuen. Eindeutig ein Pflegenotstand.
Wenig Anerkennung für Pflegeberufe trotz großem gesellschaftlichen Nutzen
Die Coronapandemie hat die fast schizophrene Einstellung unserer Gesellschaft zu Care-Berufen deutlich gemacht: Zu Beginn der Pandemie standen Menschen allabendlich auf Balkonen und klatschten, um Pflegekräften ihre Anerkennung zu zeigen. Selten stand die Leistung, die Pflegerinnen und Pfleger tagtäglich erbringen, so im Bewusstsein der Öffentlichkeit.
Die tatsächlichen Arbeitsbedingungen sprechen aber eine andere Sprache: Viele Überstunden und schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben tragen dazu bei, dass speziell die Altenpflege immer noch als wenig attraktiver Beruf gilt.
Für Frustration sorgen auch zu langsam umgesetzte Versprechen der Politik: Zwar kündigte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Sommer 2020 eine Prämie für Pflegekräfte an, allerdings verzögerte sich die Auszahlung, nicht jede Pflegekraft war anspruchsberechtigt und auch die zugesagte Steuerfreiheit für die Sonderzahlung wurde 2021 relativiert.
Demographischer Wandel überfordert das Gesundheitssystem
Es ist nicht so, dass es keine Auszubildenden in Pflegeberufen gibt. Laut Bundesgesundheitsministerium stieg ihre Anzahl in den letzten Jahren um gut zwei Prozent. Dadurch, dass immer mehr Menschen ein immer höheres Alter erreichen, steigt die Anzahl der Pflegebedürftigen allerdings deutlich stärker (plus 8,5 Prozent im Jahr 2019). Schon 18,1 Millionen Deutsche sind 65 Jahre oder älter, also bereits 22 Prozent der Bevölkerung. Dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen.
So müssen sich immer weniger Pflegekräfte um immer mehr Patienten kümmern, was zu mehr Stress im Arbeitsalltag führt. Viele Pflegekräfte möchten deshalb nicht mehr Vollzeit arbeiten oder wechseln zu Zeitarbeitsfirmen, um geregelte Arbeitszeiten zu haben. Paradox: Obwohl sie so dringend gebraucht werden, haben Menschen in Pflegeberufen kaum die Möglichkeit, Druck auf die Arbeitgeber auszuüben, um bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen.
Ein Streik würde zu Lasten der Patienten gehen, abgesehen davon, dass auch die gewerkschaftlich Vernetzung untereinander schlecht ist: Schätzungen zufolge sind nur etwa zehn Prozent der Pflegekräfte Gewerkschaftsmitglieder.
Sind Tarifverträge die Lösung gegen Pflegenotstand?
Klar ist: Eine Lohnerhöhung reicht als Motivation nicht aus, um die Lücken in der Pflege zu schließen. „Die Zahlen machen deutlich: Es mangelt nicht an Stellen, es mangelt an Personal,“ erklärte Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) bereits im Juli 2020. „Einfach neue Stellen per Gesetz zu schaffen, reicht nicht aus, wenn die Bedingungen in der Altenpflege nicht stimmen.
Professionelle Pflegekräfte leisten einen unschätzbaren Beitrag in unserer Gesellschaft. Sie setzen ihre Arbeit, Kraft, Zeit und auch ihre Gesundheit dafür ein, für ältere Menschen zu sorgen. Diese Arbeit hat endlich eine angemessene finanzielle Anerkennung und gesellschaftliche Wertschätzung verdient.“
Politische Rahmenbedingungen gegen Pflegenotstand
Nach der letzten Änderung der Pflegereform werden Altenheime ab September 2022 nur noch aus der Pflegekasse finanziert, wenn sie nach Tarif bezahlen. Allerdings gibt es nach wie vor keinen allgemein verbindlichen Tarifvertrag in der Pflege. So können Betreiber von Einrichtungen eigene Tarifverträge aushandeln oder bestehende Tarifverträge für sich übernehmen. Hier ist das letzte Wort also noch lange nicht gesprochen.
Es bleibt zu hoffen, dass die nächste Bundesregierung die politischen Rahmenbedingungen schaffen wird, um bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte zu garantieren. Pflegenotstand adé.