Pflegenotstand
Der Pflege­not­stand wird immer unüber­seh­ba­rer (Symbol­bild). Bild: mspark0 / Pixabay

Der Pflege­not­stand in Deutsch­land ist mittler­weile unüber­seh­bar und seine Folgen sind für die Gesell­schaft spürbar. Um diesen entge­gen­zu­wir­ken wurde im Januar 2019 ein Gesetz verab­schie­det: Das „Pflege­per­so­nal-Stärkungs­ge­setz“ soll die Belas­tung der Pflegen­den abmil­dern. Im Entwurf des Geset­zes wurde die Problem­lage sehr treffend beschrie­ben:

„Die Arbeit hat sich für viele Beschäf­tigte in der Alten- und Kranken­pflege in den letzten Jahren sehr verdich­tet. Die Folgen der gestie­ge­nen Arbeits­be­las­tung sind unter anderem ein höherer Kranken­stand und ein frühzei­ti­ges Ausschei­den von Pflege­kräf­ten aus dem Beruf. Werden keine Gegen­maß­nah­men einge­lei­tet, führt dies zu einer Verschär­fung des Mangels an Pflege­kräf­ten und zu weiter steigen­den Belas­tun­gen für die verblei­ben­den Kräfte.“

Mittler­weile ist das Gesetz in Kraft getre­ten und die beschlos­se­nen Maßnah­men werden Stück für Stück umgesetzt. Die Deutsche Kranken­haus­ge­sell­schaft sieht mit der Umset­zung des Geset­zes (meisten­teils in der „PPR 2.0“) einen “Durch­bruch bei der Bewäl­ti­gung der Perso­nal­krise in der Kranken­pflege“.

Eckpunkte der Regelung

Die begrü­ßens­werte Idee, dass sich das einzu­set­zende Perso­nal nach dem Aufwand und einem festen Perso­nal­schlüs­sel bemisst, bildet die Grund­lage des Geset­zes. Diese Idee wird durch diverse Änderun­gen des Regelungs­tex­tes jedoch weitge­hend zunich­te­ge­macht.

Das Gesetz regelt sieben Rahmen­punkte, die laut dem Eckpunk­te­pa­pier von DKG, ver.di und Deutschem Pflege­rat die folgen­den Berei­che umfas­sen:

  • Pflege­bud­get und Stellen­plan – Jahres­zeit­raum: Dies umfasst im Wesent­li­chen die Auftei­lung des Pflege­per­so­nals und die Berech­nung der notwen­di­gen Fachkräfte pro Bereich. Die Letzt­ent­schei­dung liegt bei der Krankenhausleitung/Geschäftsführung.
  • Grund­sätze der Dienst­plan­ge­stal­tung: Planung der Dienste mit genügend Vorlauf entspre­chend des Bedarfs im Vorjahr. Die Letzt­ver­ant­wor­tung für den Dienst­plan liegt bei der Pflegedirektion/Pflegedienstleitung.
  • Ausfall­kon­zept: Regelt das Vorge­hen bei kurzfris­ti­gem Perso­nal­aus­fall. Keine Betten­sper­rung vorge­se­hen.
  • Perso­nal­aus­stat­tung für alle betten­füh­ren­den Stationen/Arbeitsbereiche im Nacht­dienst: Das PPR 2.0 gilt nicht für den Nacht­dienst. Hier wird die eine Beset­zung von “21–40 Patien­ten zu mindes­tens einer Pflege­fach­kraft und einer Pflege­hilfs­kraft [bzw.] 41–50 Patien­ten zu mindes­tens zwei Pflege­fach­kräf­ten” angestrebt. Es darf von der Vorgabe abgewi­chen werden.
  • Trans­pa­renz: Soll- und Ist-Beset­zung werden der Inter­es­sen­ver­tre­tung zugäng­lich dokumen­tiert.
  • Übergangs­re­ge­lun­gen: Bis zur vollende­ten Einfüh­rung der Regelung soll durch die „Erhöhung der Zahl der Ausbil­dungs­plätze in der Pflege, die zusätz­li­che Gewin­nung von aus dem Beruf Ausge­schie­de­nen und [die] verstärkte Anstren­gun­gen zur Bindung von Pflege­kräf­ten, [sowie] der Erhöhung der Stunden von Teilzeit­be­schäf­tig­ten in der Pflege“ Entlas­tung geschaf­fen werden.
  • Inten­siv­me­di­zin / Pädia­trie:Hierfür besteht kein Instru­ment, das Papier kündigt ledig­lich die Erarbei­tung an.

Der Finanz­mi­nis­ter soll den Pflege­not­stand richten?

Mit der Einfüh­rung des Geset­zes soll dem Bundes­fi­nanz­mi­nis­ter außer­dem die Mitbe­stim­mung bei der Festle­gung der Menge des Pflege­per­so­nals für die Kranken­häu­ser ermög­licht werden. Statt die beschrie­be­nen Probleme zu entschär­fen und für tatsäch­li­che Entlas­tung zu sorgen, wird das Gesund­heits­we­sen also weiter den ökono­mi­schen Zwängen unter­ge­ord­net: Weitge­hend zahnlose Maßnah­men stehen der Möglich­keit des Bundes­fi­nanz­mi­nis­te­ri­ums gegen­über neuer­dings in die Perso­nal­be­mes­sung eingrei­fen zu können. Die Ergeb­nisse werden von den Verhand­lungs­part­nern dennoch als großen Erfolg gefei­ert.

Entschei­det künftig die Kassen­lage?

Die Pflege­ge­werk­schaft Bochu­mer­Bund äußerte sich dazu bereits im letzten Jahr. Dort wurde den Entschei­dungs­trä­gern vorge­wor­fen, dass es „[…] ein Angriff auf unsere Profes­sion [ist], denn wie und wer pflegt, soll zukünf­tig die Kassen­lage entschei­den, wir bewegen uns also von einer evidenz­ba­sier­ten und am indivi­du­el­len Bedarf orien­tier­ten Pflege hin zu staat­lich verord­ne­ten Leistungs­um­fän­gen.“

Anstatt langfris­tige Verbes­se­run­gen herbei­zu­füh­ren, die auf Dauer die Stabi­li­tät des Gesund­heits­we­sens und insbe­son­dere des Pflege­sek­tors setzen, orien­tiert man sich weiter­hin an der misslun­ge­nen Sparpo­li­tik der vergan­ge­nen 30 Jahre. Der Pflege­not­stand lässt sich so wohl kaum beheben.

Von den Mehrkos­ten, die Verbes­se­run­gen des Berufs natür­lich mit sich bringen würde, ist im Regelungs­text nun keine Rede mehr. Der ursprüng­li­che Entwurf sah eine Aufsto­ckung von 40.000 bis 80.000 Pflegen­den vor. Wie viele neue Stellen es durch dieses Gesetz geben wird, ist unklar.

Studie zeigt Rückhol-Poten­zial auf

Erst letztes Jahr hat eine Studie der Arbeit­neh­mer­kam­mer Bremen belegt, dass Pflege­kräfte mit einer Arbeits­zeit von bis zu 660.000 Vollzeit­stel­len dazu bewegt werden könnten, in die Branche zurück­zu­keh­ren, wenn sich die Zustände bessern (selbst nach sehr konser­va­ti­ven Schät­zun­gen sind es noch 300.000 Vollzeit­kräfte).

Die wichtigs­ten Fakto­ren sind laut der Studie:

  1. Mehr Zeit für eine gute Pflege durch mehr Perso­nal und
  2. eine höhere Bezah­lung und verläss­li­che Arbeits­zei­ten.

Dennoch werden solche Erkennt­nisse im Sinne der deutschen Sparpo­li­tik ignoriert und die Angestell­ten weiter an ihre Grenzen und darüber hinaus getrie­ben. Das Gesetz sieht statt­des­sen vor, jeder Patien­tin und jedem Patien­ten Minuten­werte zuzuord­nen. Zeit für zwischen­mensch­li­che Gesprä­che und zusätz­li­che Wege wird also weiter zurück­ge­hen. Anhand dieser Werte kann die Beset­zung dann ständig angegli­chen werden. Dass beim aktuel­len Perso­nal­man­gel dadurch mehr Pflegende auf den Statio­nen arbei­ten, ist schwer vorstell­bar. Eine Anglei­chung nach unten wäre dann aber immer eine Möglich­keit.

Fazit

Alles in allem klingt das Gesetz nach einer weite­ren Verschär­fung der Missstände in der Pflege­bran­che. Konse­quente Maßnah­men, die die Situa­tion der Pflegen­den verbes­sern, sind dringend notwen­dig. Da seit letztem Jahr auch belegt ist, dass die Verbes­se­rung der Arbeits­be­din­gun­gen die Lage schnell und dauer­haft entschär­fen würde, ist der Fokus klar auf eine radikale und flächen­de­ckende Erhöhung der über die Tarif­ver­träge geregel­ten Gehäl­ter zu legen.