Der Pflegenotstand in Deutschland ist mittlerweile unübersehbar und seine Folgen sind für die Gesellschaft spürbar. Um diesen entgegenzuwirken wurde im Januar 2019 ein Gesetz verabschiedet: Das „Pflegepersonal-Stärkungsgesetz“ soll die Belastung der Pflegenden abmildern. Im Entwurf des Gesetzes wurde die Problemlage sehr treffend beschrieben:
„Die Arbeit hat sich für viele Beschäftigte in der Alten- und Krankenpflege in den letzten Jahren sehr verdichtet. Die Folgen der gestiegenen Arbeitsbelastung sind unter anderem ein höherer Krankenstand und ein frühzeitiges Ausscheiden von Pflegekräften aus dem Beruf. Werden keine Gegenmaßnahmen eingeleitet, führt dies zu einer Verschärfung des Mangels an Pflegekräften und zu weiter steigenden Belastungen für die verbleibenden Kräfte.“
Mittlerweile ist das Gesetz in Kraft getreten und die beschlossenen Maßnahmen werden Stück für Stück umgesetzt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sieht mit der Umsetzung des Gesetzes (meistenteils in der „PPR 2.0“) einen “Durchbruch bei der Bewältigung der Personalkrise in der Krankenpflege“.
Eckpunkte der Regelung
Die begrüßenswerte Idee, dass sich das einzusetzende Personal nach dem Aufwand und einem festen Personalschlüssel bemisst, bildet die Grundlage des Gesetzes. Diese Idee wird durch diverse Änderungen des Regelungstextes jedoch weitgehend zunichtegemacht.
Das Gesetz regelt sieben Rahmenpunkte, die laut dem Eckpunktepapier von DKG, ver.di und Deutschem Pflegerat die folgenden Bereiche umfassen:
- Pflegebudget und Stellenplan – Jahreszeitraum: Dies umfasst im Wesentlichen die Aufteilung des Pflegepersonals und die Berechnung der notwendigen Fachkräfte pro Bereich. Die Letztentscheidung liegt bei der Krankenhausleitung/Geschäftsführung.
- Grundsätze der Dienstplangestaltung: Planung der Dienste mit genügend Vorlauf entsprechend des Bedarfs im Vorjahr. Die Letztverantwortung für den Dienstplan liegt bei der Pflegedirektion/Pflegedienstleitung.
- Ausfallkonzept: Regelt das Vorgehen bei kurzfristigem Personalausfall. Keine Bettensperrung vorgesehen.
- Personalausstattung für alle bettenführenden Stationen/Arbeitsbereiche im Nachtdienst: Das PPR 2.0 gilt nicht für den Nachtdienst. Hier wird die eine Besetzung von “21–40 Patienten zu mindestens einer Pflegefachkraft und einer Pflegehilfskraft [bzw.] 41–50 Patienten zu mindestens zwei Pflegefachkräften” angestrebt. Es darf von der Vorgabe abgewichen werden.
- Transparenz: Soll- und Ist-Besetzung werden der Interessenvertretung zugänglich dokumentiert.
- Übergangsregelungen: Bis zur vollendeten Einführung der Regelung soll durch die „Erhöhung der Zahl der Ausbildungsplätze in der Pflege, die zusätzliche Gewinnung von aus dem Beruf Ausgeschiedenen und [die] verstärkte Anstrengungen zur Bindung von Pflegekräften, [sowie] der Erhöhung der Stunden von Teilzeitbeschäftigten in der Pflege“ Entlastung geschaffen werden.
- Intensivmedizin / Pädiatrie:Hierfür besteht kein Instrument, das Papier kündigt lediglich die Erarbeitung an.
Der Finanzminister soll den Pflegenotstand richten?
Mit der Einführung des Gesetzes soll dem Bundesfinanzminister außerdem die Mitbestimmung bei der Festlegung der Menge des Pflegepersonals für die Krankenhäuser ermöglicht werden. Statt die beschriebenen Probleme zu entschärfen und für tatsächliche Entlastung zu sorgen, wird das Gesundheitswesen also weiter den ökonomischen Zwängen untergeordnet: Weitgehend zahnlose Maßnahmen stehen der Möglichkeit des Bundesfinanzministeriums gegenüber neuerdings in die Personalbemessung eingreifen zu können. Die Ergebnisse werden von den Verhandlungspartnern dennoch als großen Erfolg gefeiert.
Entscheidet künftig die Kassenlage?
Die Pflegegewerkschaft BochumerBund äußerte sich dazu bereits im letzten Jahr. Dort wurde den Entscheidungsträgern vorgeworfen, dass es „[…] ein Angriff auf unsere Profession [ist], denn wie und wer pflegt, soll zukünftig die Kassenlage entscheiden, wir bewegen uns also von einer evidenzbasierten und am individuellen Bedarf orientierten Pflege hin zu staatlich verordneten Leistungsumfängen.“
Anstatt langfristige Verbesserungen herbeizuführen, die auf Dauer die Stabilität des Gesundheitswesens und insbesondere des Pflegesektors setzen, orientiert man sich weiterhin an der misslungenen Sparpolitik der vergangenen 30 Jahre. Der Pflegenotstand lässt sich so wohl kaum beheben.
Von den Mehrkosten, die Verbesserungen des Berufs natürlich mit sich bringen würde, ist im Regelungstext nun keine Rede mehr. Der ursprüngliche Entwurf sah eine Aufstockung von 40.000 bis 80.000 Pflegenden vor. Wie viele neue Stellen es durch dieses Gesetz geben wird, ist unklar.
Studie zeigt Rückhol-Potenzial auf
Erst letztes Jahr hat eine Studie der Arbeitnehmerkammer Bremen belegt, dass Pflegekräfte mit einer Arbeitszeit von bis zu 660.000 Vollzeitstellen dazu bewegt werden könnten, in die Branche zurückzukehren, wenn sich die Zustände bessern (selbst nach sehr konservativen Schätzungen sind es noch 300.000 Vollzeitkräfte).
Die wichtigsten Faktoren sind laut der Studie:
- Mehr Zeit für eine gute Pflege durch mehr Personal und
- eine höhere Bezahlung und verlässliche Arbeitszeiten.
Dennoch werden solche Erkenntnisse im Sinne der deutschen Sparpolitik ignoriert und die Angestellten weiter an ihre Grenzen und darüber hinaus getrieben. Das Gesetz sieht stattdessen vor, jeder Patientin und jedem Patienten Minutenwerte zuzuordnen. Zeit für zwischenmenschliche Gespräche und zusätzliche Wege wird also weiter zurückgehen. Anhand dieser Werte kann die Besetzung dann ständig angeglichen werden. Dass beim aktuellen Personalmangel dadurch mehr Pflegende auf den Stationen arbeiten, ist schwer vorstellbar. Eine Angleichung nach unten wäre dann aber immer eine Möglichkeit.
Fazit
Alles in allem klingt das Gesetz nach einer weiteren Verschärfung der Missstände in der Pflegebranche. Konsequente Maßnahmen, die die Situation der Pflegenden verbessern, sind dringend notwendig. Da seit letztem Jahr auch belegt ist, dass die Verbesserung der Arbeitsbedingungen die Lage schnell und dauerhaft entschärfen würde, ist der Fokus klar auf eine radikale und flächendeckende Erhöhung der über die Tarifverträge geregelten Gehälter zu legen.