Knapp ein Fünftel (18,4 Prozent) der beruf­lich Pflegen­den in Deutsch­land zieht es mehrmals monat­lich in Erwägung, aus dem Pflege­be­ruf auszu­stei­gen. Das geht aus einer der umfas­sends­ten Studien hervor, die in Europa durch­ge­führt wurde, um Gründe für den Berufs­aus­stieg von Pflege­kräf­ten zu ermit­teln und inter­na­tio­nal zu verglei­chen. Im Rahmen der NEXT-Studie (nurses early exit study) wurden von 2002 bis 2005 in zehn verschie­de­nen europäi­schen Ländern insge­samt 60.000 Pflege­kräfte – also rund 6.000 je Land – zu ihrer Berufs­si­tua­tion befragt. Knapp 40.000 von ihnen (Deutsch­land: 3.565) haben tatsäch­lich teilge­nom­men und so eine umfas­sende Analyse der Unzufrie­den­hei­ten von Pflege­kräf­ten im inter­na­tio­na­len Vergleich ermög­licht.

Berufs­aus­stieg vs. Verweil­dauer

Was sind also die Gründe für deutsche Pflege­kräfte, über einen Berufs­aus­stieg nachzu­den­ken oder gar in die Tat umzuset­zen? Die Zahl derje­ni­gen, die das mehrmals monat­lich in Erwägung zieht, scheint in Deutsch­land schließ­lich nicht unerheb­lich zu sein – wenngleich die Zahl in anderen Ländern teilweise noch höher liegt (beispiels­weise 36,2 Prozent in Großbri­tan­nien). Man sagt außer­dem, dass Pflegende im Durch­schnitt 6,5 Jahre in einer Einrich­tung bleiben, in der Slowa­kei hinge­gen doppelt so lang hinge­gen. Auch im Vergleich zu anderen Berufen ist ein frühzei­ti­ger Ausstieg in der Pflege häufi­ger zu beobach­ten.

Gründe für den Berufs­aus­stieg

Ein genaue­rer Blick auf die Ursachen könnte also aufschluss­reich sein. Die Teilneh­mer wurden dazu nach ihrer Einschät­zung gefragt, inwie­fern sie durch bestimmte Fakto­ren gar nicht bis sehr belas­tet werden.

Allge­meine Gründe für einen Ausstieg aus dem Pflege­be­ruf können sein:

  • Psychi­sche bezie­hungs­weise emotio­nale Belas­tun­gen (häufi­ger bis tägli­cher Umgang mit Tod, Leid und Krank­hei­ten)
  • Mangelnde Zeit für die Patien­ten und die anfal­len­den Aufga­ben sorgt für eine schnelle Überlas­tung der Fachkräfte
  • Körper­li­che Belas­tun­gen durch Heben, Tragen und Lagern
  • Das Team: Spannun­gen zwischen Pflege­kräf­ten und Führungs­per­so­nen (Ärzten, Pflege­dienst­lei­tern, Vorge­setz­ten) können Unzufrie­den­heit erzeu­gen
  • Die persön­li­che Bindung an die Profes­sion Pflege sowie eine gute Führungs­qua­li­tät beein­flus­sen Pflegende in ihrer Einstel­lung zu ihrem Beruf
  • Fehlende Möglich­kei­ten zur persön­li­chen Entwick­lung
  • Schlechte Bezah­lung
  • Mangeln­der Einfluss bei der Ausfüh­rung der Aufga­ben
Berufsausstieg in der Pflege
Die Belas­tun­gen am Arbeits­platz lassen viele Pflegende über einen Berufs­aus­stieg nachden­ken. Bild: https://www.dreamstime.com/wavebreakmediamicro_info

Psychi­sche und körper­li­che Belas­tun­gen

Ist genug Zeit da, um mit den Patien­ten zu kommu­ni­zie­ren? Können ausrei­chend Pausen gemacht werden oder fehlt Zeit, um alle Aufga­ben zuende zu bringen? Muss schnell gearbei­tet werden? Bei Fragen dieser Art scheint die Belas­tung in der statio­nä­ren Alten­pflege am stärks­ten zu sein. Auf einer Skala von eins bis 100 liegt der mittlere Wert dieser Arbeits­an­for­de­run­gen in der Alten­pflege bei 65, gefolgt vom Kranken­haus­be­reich (61) und ambulan­ten Diens­ten (55). Sie schei­nen vor allem ein beson­ders wichti­ger Aspekt zu sein, wenn es darum geht, ab wann Pflegende sich eher ausge­brannt fühlen, öfter fehlen und erwägen den Pflege­be­ruf zu wechseln.

Die Alten­pflege sticht ebenso bei den Angaben zu körper­li­chen und emotio­na­len Belas­tun­gen hervor. Heben, Tragen, Lagern – dies sind nur einiger der körper­li­chen Anstren­gun­gen, die den Alltag der Pflegen­den ausma­chen und sind mit einem Faktor von 49,7 in der statio­nä­ren Alten­pflege beson­ders ausge­prägt. Gleich­zei­tig gaben aber auch knapp 30 Prozent an, dass sie in ihrer Einrich­tung über Hebehil­fen verfü­gen, diese aber nicht verwen­den.

In dieser Hinsicht sieht es laut den Befrag­ten im Bereich der Normal­sta­tion, etwa in der Chirur­gie, schlech­ter aus. Die Belas­tung durch Heben und Tragen ist hier sehr hoch, in 70 Prozent der Fälle stehen jedoch keine Hebehil­fen zur Verfü­gung. Auch emotio­nal wird den Fachkräf­ten in der Alten­pflege viel abver­langt, schließ­lich haben 45 Prozent der Befrag­ten in Deutsch­land angege­ben, dass sie diesen Themen immer ausge­setzt sind (29 Prozent auf der Normal­sta­tion und 10 Prozent in der Psych­ia­trie).

Spannun­gen zwischen den Kolle­gen

Unter dem Gesichts­punkt sozia­ler Fakto­ren – also des Verhält­nis­ses zwischen Pflege­per­so­nen und Vorge­setz­ten und Kolle­gen – schnei­det der Kranken­haus­be­reich am schlech­tes­ten ab. Hier gibt jeder Vierte an ein angespann­tes Verhält­nis zur Pflege­dienst­lei­tung und jeder Fünfte zur Verwal­tung zu haben.

Führungs­qua­li­tät und Bindung an die Arbeit

Wie stark man an seine Arbeit gebun­den ist, ist bedeu­tend dafür, ob man überhaupt in Erwägung zieht den Beruf zu wechseln oder nicht. Im europäi­schen Vergleich hat sich insge­samt gezeigt, dass die Bindung der Pflegen­den an ihren Beruf sehr stark ausge­prägt ist und viel Motiva­tion und Engage­ment für ihre Profes­sion aufge­bracht wird. Am wenigs­ten gilt das aller­dings laut der Studie für Großbri­tan­nien, die Nieder­lande und auch für Deutsch­land. Grund könnte ein gerin­ges Entge­gen­brin­gen von Wertschät­zung gegen­über ihrem Beruf sein.

Anders sieht es in Bezug auf die Führungs­qua­li­tät aus: Diese wird in von deutschen, ebenso wie von engli­schen und belgi­schen Pflege­kräf­ten höher einge­schätzt als beispiels­weise von polni­schen und italie­ni­schen Pflege­kräf­ten in ihren jewei­li­gen Ländern.

Initia­tive statt Berufs­aus­stieg

Bei all diesen Einfluss geben­den Fakto­ren muss natür­lich auch berück­sich­tigt werden, dass es immer auch von der einzel­nen Person selbst abhängt, wie schnell die jewei­li­gen Umstände als belas­tend empfun­den werden. Bei Unzufrie­den­heit mit dem Beruf sollte jedoch nicht sofort der Kopf in den Sand gesteckt, sondern vielmehr die Initia­tive ergrif­fen werden. Um zum Beispiel die körper­li­che Belas­tung zu minimie­ren, kann dazu angeregt werden, dass Hebehil­fen oder andere Hilfs­mit­tel zur Verfü­gung gestellt werden. Auch Fort- und Weiter­bil­dun­gen können helfen, um sich persön­lich und in seiner Quali­fi­ka­tion weiter­zu­ent­wi­ckeln. Zuletzt hilft ein offener Umgang mit den Kolle­gen und Vorge­setz­ten – auch konstruk­tive Kritik kann durch­aus dazu verhel­fen, Arbeits­pro­zesse zu verbes­sern.

Die NEXT-Studie wurde finan­ziert durch die Europäi­sche Union und koordi­niert von der Bergi­schen Univer­si­tät Wupper­tal.

Quelle: M.Simon, P.Tackenberg, H.-M.Hasselhorn, A.Kümmerling, A.Büscher & B.H.Müller (2005): Auswer­tung der ersten Befra­gung der NEXT-Studie in Deutsch­land. Univer­si­tät Wupper­tal. http://www.next.uni-wuppertal.de; baua-Studie „Berufs­aus­stieg bei Pflege­per­so­nal“