Eine 1969 geborene Frau ist seit 2012 in einem Wohnheim ansässig. Die Bewohnerin ist geistig behindert, sie leidet unter dem Prader-Willi-Syndrom, welches eine deutliche Intelligenzminderung hervorruft. Trotz ihrer Behinderung sei die Klägerin noch ziemlich selbstständig gewesen, sie könne sich aber nicht gut verständlich machen. Sie klagt nun gegen die Trägerin des Wohnheims auf Schmerzengeld und Schadensersatz.
Tragischer Unfall mit schweren Folgen
Im April 2013 wollte die Klägerin ein Bad nehmen. Eine Betreuerin erteilte ihr, wie sonst auch, die Erlaubnis, in einer mobilen Sitzbadewanne zu baden, die in der Dusche stand. Die Klägerin ließ ihr Badewasser wie üblich selbst ein. Funktionierte in den vorherigen Fällen stets alles reibungslos, passierte dieses Mal jedoch ein Unglück. Die Bewohnerin ließ zu heißes Wasser in die Wanne ein und erlitt beim Einsteigen schwere Verbrühungen an beiden Füßen und Unterschenkeln. Aufgrund ihrer eingeschränkten Fähigkeiten war sie nicht der Lage, sich selbst aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Weil sie lautstark schrie, eilte zunächst ein anderer Heimbewohner zur Hilfe, der das Wasser abließ und dann eine Pflegekraft rief. Aufgrund der schweren Verletzungen waren bei der Klägerin mehrere Hauttransplantationen notwendig. Dabei kam es ebenfalls zu Komplikationen. Die Bewohnerin infizierte sich zudem noch mit einem multiresistenten Keim und ist seitdem nicht mehr gehfähig. Sie sitze daher nun im Rollstuhl. Auch ihr psychischer Zustand habe sich verschlechtert, was sich durch häufige Schreianfälle bemerkbar mache.
In den DIN EN 806–2 (Technische Regeln für Trinkwasser-Installation – Teil 2: Planung) ist festgelegt, dass das Wasser aus Warmwasseranlagen eine Temperatur von 43° nicht überschreiten darf, um Verbrühungen zu vermeiden. In Kindergärten, Pflegeheimen und Duschanlagen beträgt die zulässige Höchsttemperatur sogar nur 38°. Das eingelassene Badewasser habe diese Temperatur weit überschritten, da die Anlage keine Temperatureinstellung zur Begrenzung der Höchsttemperatur aufwies. Zudem liege ein pflichtwirdriges Verhalten vor, die Bewohnerin wäre beim Baden zu beaufsichtigen gewesen. Aufgrund dieser Umstände verklagt die Bewohnerin die Trägerin des Altenheims auf mindestens 50.000 Euro Schmerzensgeld und eine monatliche Rente von 300 Euro.
Klage vor Landgericht erfolglos
Das Landgericht Bremen hat die Klage auf Schmerzensgeld jedoch abgewiesen (Az.: 6 O 2099/13). Aus den DIN-Normen gehe keine Pflicht zur Ausstattung von Wasseranlagen mit einer Temperaturbegrenzung einher, so die Auffassung des OLG Bremen (Az.: 2 U 106/17). Es handele sich dabei um eine technische Regelung, die erst seit 2005 gilt und die die Planung der Installation von Wasseranlagen betrifft. Das Wohnheim öffnete allerdings schon Jahrzehnte vor dem Inkrafttreten der Regelungen. Des Weiteren könne man den Mitarbeitern des Wohnheims keinen Vorwurf machen, die Klägerin bei ihrem Bad nicht beaufsichtigt zu haben. Die Frau habe zuvor schon häufig selbstständig und ohne Probleme gebadet. Zudem wurde sie vor dem Unfall in eine Hilfsbedarfsgruppe eingestuft, die sie als ziemlich selbstständig definiert. Von einem Unfall, wie er sich ereignete, hätten die Pflegekräfte nicht ausgehen können.
BGH präzisiert Schutzpflicht von Wohnheimen durch Urteil
Der III. Zivilsenat des BGH gab der Revision der Klägerin gegen des Berufungsurteil statt und verwies den Fall an des Oberlandesgericht zurück (III ZR 113/18). In der Pressemitteilung vom 22. August 2019 heißt es:
Der Heimbetreiber hat die Pflicht, unter Wahrung der Würde und des Selbstbestimmungsrechts der ihm anvertrauten Bewohner, diese vor Gefahren zu schützen, die sie nicht beherrschen.
Bezüglich des Inhalts dieser Verpflichtung sei in jedem Einzelfall anders abzuwägen. Im Falle der geistig behinderten Bewohnerin können, entgegen der Auffassung des OLG, auch die DIN-Normen darin einbezogen werden. Diese haben zwar keine normative Geltung, geben jedoch den allgemein anerkannten Stand technischer Regelungen wieder. Ein Heimbewohner kann demnach erwarten, vor den in den Normen genannten Gefahren geschützt zu werden, wenn er diese durch z.B. geistige Einschränkungen, wie im aktuellen Fall, nicht erkennt. Dementsprechend ist auch die DIN EN 806–2 in den Blick zu nehmen. Aus dieser ist zu entnehmen, dass bei Warmwasseranlagen erhöhte Verbrühungsgefahr besteht, wenn die zugelassene Höchsttemperatur von 43° überschritten wird. In Einrichtungen mit einem besonders schutzbedürftigen Benutzerkreis, wie z.B. Seniorenheime, ist dafür Sorge zu tragen, dass die Gefahr einer Verbrühung durch entsprechende Vorkehrungen vermindert wird. In Wohnheimen sollten daher stets Temperaturbegrenzungen für Warmwasseranlagen Einsatz finden. Das Wohnheim habe das Urteil des BGH hinsichtlich der Ausstatung der Duschanlagen nach Angaben des NDR akzeptiert.
OLG prüft nun Schutzbedürftigkeit der Bewohnerin
Die Klägerin gab an, aufgrund des Ausmaßes ihrer Behinderung zum besonders schutzbedürftigen Personenkreis zu gehören. Demnach hätte die Beklagte eine Begrenzung der Temperatur des austretenden Wassers entsprechend den Empfehlungen der DIN EN 806–2 technisch sicherstellen müssen. Dies wäre allein durch den Austausch der Mischarmaturen in der Dusche möglich gewesen. Andernfalls hätte die Wassertemperatur vorher von einer Pflegekraft geprüft werden müssen. Das Berufungsgericht hat noch keine Aussage hinsichtlich des Schutzbedarfes der Bewohnerin getroffen. Insbesondere dieser Punkt ist nun im Revisionsverfahren zu prüfen.