Vagina
Ein kleiner Tupfer – großes Unheil

Tupfer in Vagina: Vorwurf eines Behand­lungs­feh­lers

Die Kläge­rin kam am 27. Novem­ber 2013 zur Entbin­dung ihrer Tochter in das beklagte Kranken­haus. Bei der Geburt zog sich die Kläge­rin einen Dammriss des Grades IIIa zu, welcher opera­tiv genäht werden musste. Nach Einwil­li­gung der Patien­ten geschah dies vor Ort im Kreiß­saal.

Im Anschluss litt die Kläge­rin an starken Schmer­zen im Rücken, Becken, Damm- und Vaginal­be­reich. Es folgten einige Tage der Unter­su­chung. Am 4. Dezem­ber diagnos­ti­zierte die bei der Geburt anwesende Hebamme einen Tupfer in der Größe eines Hühner­eis im Schei­den­ein­gang und entfernte diesen.

Bereits im August 2013 hatte sich die Kläge­rin mit Beschwer­den am Steiß­bein in osteo­pa­thi­sche Behand­lung begeben. Fast ein Jahr später wurde, laut der Kläge­rin durch der Geburt des Kindes verur­sacht, eine Sublu­xa­tion des Steiß­bei­nes diagnos­ti­ziert.

Die Kläge­rin wirft der Beklag­ten vor, wohlwis­send ihrer Beschwer­den keine weite­ren Befunde erhoben zu haben, womit die Luxation recht­zei­tig hätte erkannt werden können. Weiter­hin sei die Behand­lung des Dammris­ses fehler­haft gewesen: ohne Schmerz­mit­tel und direkt im Kreiß­saal.

Das Zurück­las­sen des Tupfers stelle weiter­hin einen groben Behand­lungs­feh­ler dar, der anschlie­ßend zu starken Schmer­zen, Bewegungs­ein­schrän­kun­gen und Wundhei­lungs­ver­zö­ge­run­gen bei der Kläge­rin geführt habe.

Zudem leide die Kläge­rin seitdem an Inkon­ti­nenz und Sensi­bi­li­täts­stö­run­gen im Intim­be­reich. Die ausübende Fachärz­tin sei wie auch der Opera­ti­ons­ort nicht für den Eingriff geeig­net gewesen, da dort regel­mä­ßig keine asepti­schen Bedin­gun­gen vorlä­gen. Hätte die Kläge­rin dies gewusst, hätte sie sich nach eigener Angabe gegen eine OP im Kreiß­saal entschie­den.

Warum die Klage abgewie­sen wurde

Die Kläge­rin hatte sowohl vor dem LG Leipzig als auch in ihrer Berufung vor dem OLG Dresden keinen Erfolg. Ihr steht kein Anspruch auf Schadens­er­satz zu. Laut dem Gericht konnte sie ihre Behaup­tung, die Versor­gung des Dammris­ses sei fehler­haft ohne Betäu­bung erfolgt, nicht bewei­sen. Eine Lokal­an­äs­the­sie ist in der Behand­lungs­do­ku­men­ta­tion vermerkt.

Die Durch­füh­rung der Versor­gung des Dammris­ses im Kreiß­saal stellt ebenfalls keinen Fehler dar. Bei gegebe­nen asepti­schen Verhält­nis­sen – ein anderer Zustand konnte dem Kranken­haus nicht nachge­wie­sen werden – findet sich die Regelung dazu in der AWMF-Leitli­nie „Leitli­nie zum Manage­ment von Dammris­sen III. und IV. Grades nach vagina­ler Geburt“.

Vagina
Der Tupfer (rechts) ist oftmals Teil des umfang­rei­chen Bestecks zur Behand­lung

Das Zurück­las­sen des Tupfers in der Vagina der Kläge­rin fasste das LG Leipzig hinge­gen als Behand­lungs­feh­ler auf. Die Verant­wort­li­chen müssen alle mögli­chen und zumut­ba­ren Sicher­heits­maß­nah­men treffen, um ein solches Missge­schick zu unter­bin­den.

Bei der Anwen­dung von texti­len Hilfs­mit­teln kann dies zum Beispiel das Zählen oder Kennzeich­nen der benutz­ten Werkzeuge beinhal­ten. Eine derar­tige Vorsichts­maß­nahme erfolgte jedoch nicht.

Eine Empfeh­lung zum Zählen von Tupfern als Kontroll­maß­nah­men gibt es aller­dings nicht. Verwun­der­lich, da das Zurück­las­sen eines Tupfers in der Vagina etwa ein Fünftel aller in mensch­li­chen Körpern zurück­ge­las­se­nen Tupfern ausmacht. Jedoch ist durch die Blutung im Zuge des Dammris­ses selbst bei einem Zählen der Tupfer ein Verschwin­den eines solchen nicht gänzlich auszu­schlie­ßen.

Insofern ist die Frage, ob es sich bei dem Vorfall um einen groben, eigent­lich so nie vorkom­men­den und durch die Missach­tung von Routi­ne­re­geln entste­hen­den Behand­lungs­feh­ler handelt, in diesem Fall nicht final zu beant­wor­ten gewesen.

Dies ist im Falle der Kläge­rin auch nicht von hoher Relevanz. Selbst wenn es sich zuguns­ten der Kläge­rin um einen groben Behand­lungs­feh­ler gehan­delt hätte, verla­gert sich die Beweis­last für die Kausa­li­tät zwischen dem Fehler und den nachfol­gen­den Gesund­heits­schä­den. Und überhaupt: Nach den Ausfüh­run­gen des Sachver­stän­di­gen habe das Zurück­las­sen des Tupfens keine gesund­heit­li­chen Schäden nach sich gezogen.

Vielmehr handele es sich bei den Schmer­zen im Rücken, Becken, Damm und Schei­den­be­reich sowie die Sensi­bi­li­täts­stö­run­gen im vagina­len Bereich um übliche Beschwer­den nach einer Spontan­ge­burt. Eine verzö­gerte Wundhei­lung sei nicht zu identi­fi­zie­ren gewesen, im Gegen­teil: Wie von der Hebamme in der Dokumen­ta­ti­ons­akte vermerkt, erfolgte der Heilungs­pro­zess nach der Tupfer­ent­fer­nung ohne Kompli­ka­tio­nen.

Auch die Behaup­tung, die Opera­teu­rin verfüge nicht über entspre­chende Quali­fi­ka­tio­nen erfolgt ledig­lich ins Blaue. Auch die Ausklä­rung der opera­ti­ven Versor­gung eines Dammris­ses erfolgte sachge­mäß. Auch die Steiß­bein­lu­xa­tion führt nicht zu einem Anspruch auf Schadens­er­satz.

Leitsätze

  1. Das Zurück­las­sen eines Baginal­tup­fers nach Versor­gung eines Dammris­ses stellt einen Behand­lungs­feh­ler dar, wenn vor dem Eingriff nicht alle mögli­chen und zumut­ba­ren Siche­rungs­vor­keh­run­gen gegen ein solches Versäum­nis getrof­fen wurden. Ob dies zugleich in den vollbe­herrsch­ba­ren Risiko­be­reich der Arztseite fällt, kann dann offen bleiben.
  2. Die Aufklä­rung bei der Versor­gung eines Dammris­ses braucht nicht darauf erstreckt zu werden, dass der Eingriff alter­na­tiv im Kreiß­saal oder im Opera­ti­ons­saal erfol­gen kann. Auch eine Aufklä­rung darüber, dass es bei einem solchen Eingriff zum Zurück­las­sen von Tupfern in der Wunde kommen kann, ist nicht geboten.

OLG Dresden, 4. Zivil­se­nat, Beschluss vom 24. April 2019, Az.: 4 U 1616/18

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe September/Oktober 2022 der Rechts­de­pe­sche; RDG 16(5), S. 259.