Krankenschwester
Wie lange muss eine Kranken­schwes­ter für 1 Millio­nen Euro arbei­ten?

Stellen Sie sich einmal vor, sie sind als Kranken­schwes­ter in einer Einrich­tung tätig, verdie­nen nicht gerade viel Geld und werden dann aufgrund eines Behand­lungs­feh­lers zu einem Rekord-Schmer­zens­geld in Höhe von einer Million Euro verur­teilt. So zuletzt gesche­hen in einem erstin­stanz­li­chen Urteil des LG Limburg vom 28.6.2021 (1 O 45/15).

Bei Klein­kind: Bronchi­tis endet in Hirnscha­den

Die intra­ve­nöse Verab­rei­chung von Medika­men­ten stellt für das Pflege­per­so­nal in den Kranken­häu­sern im Normal­fall eine Routi­ne­übung dar. In diesem Fall endete sie jedoch fatal.

Der im Dezem­ber 2011 noch nicht einmal zweijäh­rige Junge wurde wegen einer obstruk­ti­ven Bronchi­tis, einer drohen­den respi­ra­to­ri­schen Insuf­fi­zi­enz und eines Verdachts auf Bronchopneu­mo­nie und fieber­haf­ten Infekt statio­när einge­wie­sen. Er erhielt dort eine intra­ve­nöse antibio­ti­sche Thera­pie, so auch am Tag des Vorfalls.

Als die Kranken­schwes­ter zur Thera­pie in das Kranken­zim­mer eintrat, habe das Kind gerade offen­sicht­lich Äpfel und Chips geges­sen. Seine Mutter bat die Kranken­schwes­ter darum, ihn vor der Injek­tion zunächst aufes­sen zu lassen.

Die Kranken­schwes­ter kam diesem Wunsch jedoch nicht nach und verab­reichte dem Jungen sofort ein intra­ve­nö­ses Antibio­ti­kum und spülte mit einer Kochsalz­lö­sung nach. Dabei schrie der Kläger so stark, dass er sich an seinem Essen verschluckte. Er begann, heftig zu husten und blau anzulau­fen.

Die Kranken­schwes­ter nahm das Kind darauf­hin hoch und schüt­telte es kopfüber nach oben und nach unten, in der Hoffnung, das Essen wieder aus dem Körper zu bekom­men. Weil dies nicht gelang, musste der Kleine am Ende sogar reani­miert werden. Auf der Kinder­in­ten­siv­sta­tion wurden einen Tag später in einer Broncho­sko­pie mehrere Essens­reste aus den Bronchien des Kindes entfernt.

Drei weitere Tage danach ergab eine Kernspin­to­mo­gra­fie dann die Diagnose: Hypoxi­scher Hirnscha­den. Beim Kläger sei es zu Schluck­stö­run­gen gekom­men, infol­ge­des­sen er eine trans­ku­tane Magen­sonde zur weite­ren Ernäh­rung erhal­ten habe. Gut eine Woche später wurde der Junge aus der Klinik entlas­sen.

Kläger lebens­lang geschä­digt

Die Tragik des Falls begründe nach Angaben des Gerichts die Höhe des Schadens­er­sat­zes. Der geschä­digte Kläger war zum Zeitpunkt des Vorfalls noch keine zwei Jahre alt und wurde in noch sehr jungem Alter bereits eines norma­len Menschen­le­bens beraubt.

Infolge mehre­rer Behand­lungs­feh­ler durch die Kranken­schwes­ter leidet der Kläger an einem hypoxi­schen Hirnscha­den, an infan­ti­ler Zerebral­pa­rese, Epilep­sie, Tetras­pas­tik, einer Hüftlu­xa­tion, Schluck­stö­run­gen, einer Sehbe­ein­träch­ti­gung und Intel­li­genz­min­de­rung.

Er kann weder richtig sprechen, noch laufen und wird sein restli­ches Leben überwie­gend in Klini­ken, Reha-Einrich­tun­gen und in thera­peu­ti­scher Behand­lung verbrin­gen müssen, stets verbun­den mit Schmer­zen und Angst­stö­run­gen beim Schla­fen und Essen. Der Kläger fällt unter die Pflege­stufe 5 und müsse rund um die Uhr betreut werden.

Der Kläger erhob Klage und beantragte ein angemes­se­nes Schmer­zens­geld in Höhe von mindes­tens 500.000 Euro sowie die Übernahme vergan­ge­ner und künfti­ger materi­el­ler und immate­ri­el­ler Schäden, die infolge der Behand­lungs­feh­ler entstan­den sind oder noch entste­hen können. Das LG Limburg sah diese Summe noch nicht als ausrei­chend an und sprach im Urteil eine Schadens­er­satz­zah­lung in Höhe von einer Million Euro.

Mehrere Behand­lungs­feh­ler durch Kranken­schwes­ter

Unstrit­tig ursäch­lich für die Schäden des Klägers waren zum einen die zu frühe Verab­rei­chung der Antibiose und zum anderen das Schüt­teln des Kindes durch die Kranken­schwes­ter, nachdem dieses sich verschluckte und keine Luft mehr bekam. Die Kranken­schwes­ter handelte hierbei sowohl rechts­wid­rig als auch fahrläs­sig im Sinne von § 276 Absatz 2 BGB, da sie beide Fehler hätte erken­nen bzw. vermei­den müssen.

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Die Kranken­schwes­ter soll sowohl rechts­wid­rig als auch fahrläs­sig gehan­delt haben

Sie hätte mit der Thera­pie noch ein paar Minuten warten müssen, bis der Kläger die Nahrung vollstän­dig verzehrt habe. Des Weite­ren wurden keine adäqua­ten Erste Hilfe-Maßnah­men ergrif­fen, als das Kind aufhörte zu atmen. Das Kind kopfüber hochzu­he­ben und zu schüt­teln fällt defini­tiv nicht darun­ter.

Zuguns­ten der Kranken­schwes­ter wurde jedoch berück­sich­tigt, dass der Schaden inner­halb eines Routi­ne­vor­gangs entstan­den ist, der regel­mä­ßig auch anderen Kranken­schwes­tern hätte passie­ren können. Es handele sich daher „nur“ um ein leich­tes fahrläs­si­ges Verhal­ten.

Das Gericht geht zudem davon aus, dass die Kranken­schwes­ter nicht vorsätz­lich gehan­delt habe, sondern die Fehler im Zuge ihrer Überfor­de­rungs­re­ak­tion passier­ten. Als Mutter und Kinder­kran­ken­schwes­ter habe sie den Fall sehr bedau­ert und sei auch betrof­fen.

Einrich­tung und Beleg­ärz­tin ebenfalls schul­dig

Die eine Million Euro Schadens­er­satz liegen aller­dings nicht nur auf den Schul­tern der Kranken­schwes­ter, sondern vertei­len sich auf drei Akteure. Neben ihr wurden auch die zustän­dige Einrich­tung, sowie eine dienst­ha­bende Beleg­ärz­tin durch das LG Limburg verur­teilt.

Begrün­dend führt das Gericht an, dass die Kranken­haus­trä­ge­rin ihr Perso­nal regel­mä­ßig zum Thema Notfall­ret­tungs­maß­nah­men schult und weiter­bil­det, womit ein Großteil der Schäden beim Kind hätten vermie­den werden können.

Die dienst­ha­bende Beleg­ärz­tin wiederum muss sich im Rahmen ihrer vertrag­li­chen Leistungs­pflich­ten ein Verschul­den der Kranken­schwes­ter als ihre Erfül­lungs­ge­hil­fin zurech­nen lassen. Die Verab­rei­chung der Antibiose gilt im Normal­fall als Teil der ärztli­chen Behand­lung und beruht auf ärztli­cher Anord­nung.

Wirtschaft­li­che Schäden sind für die Kranken­schwes­ter im Übrigen wahrschein­lich nicht zu befürch­ten, da die Richter davon ausge­hen, dass sie über eine Haftpflicht­ver­si­che­rung verfügt. In diesem Zusam­men­hang empfiehlt Rechts­de­pe­sche Chefre­dak­teur und Jurist Michael Schanz: „Der Fall macht das eklatante Haftungs­ri­siko von Ärzten und Pflegen­den im medizi­ni­schen Betrieb mehr als deutlich. Allen Akteu­ren im Gesund­heits­dienst ist zur Entlas­tung der persön­li­chen Inanspruch­nahme die Überprü­fung ihres Haftpflicht­schut­zes zu empfeh­len. Dieser kann über die Arbeit­ge­ber auf der betrieb­li­chen Ebene sicher­ge­stellt werden. Ist dies nicht der Fall, sollte jeder Einzelne für seinen persön­li­chen Haftpflicht­schutz Sorge tragen.“

Infor­ma­tion: Das Urteil ist noch nicht rechts­kräf­tig. Es ist stark davon auszu­ge­hen, dass sich die verur­teil­ten Akteure dagegen wehren und in Berufung gehen werden.