Über freiheitsentziehende Maßnahmen in der Pflege durch Angehörige.
Über freiheits­ent­zie­hende Maßnah­men in der Pflege zuhause. Bild: © Koonsiri Boonnak | Dreamstime.com

Betrof­fene fällt zu Hause aus dem Bett

Eine 96-jährige, bettlä­ge­rige und an Demenz erkrankte Dame wird in ihrer Eigen­tums­woh­nung von einer 24-Stunden-Pflege­kraft ambulant betreut. Diese bewohnt eine räumlich getrennte Wohnung in demsel­ben Gebäude. Die Wohnung der Pflege­be­dürf­ti­gen ist weitest­ge­hend mit persön­li­chem Mobiliar einge­rich­tet, das jedoch durch zusätz­li­che Pflege­hilfs­mit­tel ergänzt wird.

Nach einem Kranken­haus­auf­ent­halt kam es des Öfteren zu Stürzen aus dem Bett. Seitdem werden nachts und gelegent­lich auch tagsüber im Einver­neh­men mit dem Betreuer durch­ge­hende Bettgit­ter an beiden Bettsei­ten aufge­rich­tet. Zur recht­li­chen Klärung dieser Situa­tion hat der Betreuer die Geneh­mi­gung des Hochzie­hens der Bettgit­ter beim AG Garmisch-Parten­kir­chen beantragt.

Maßnahme ist geneh­mi­gungs­frei

Laut § 1906 Absatz 4 BGB sind freiheits­ent­zie­hende Maßnah­men, zu denen auch die Anbrin­gung von Bettgit­tern gehört, nur dann geneh­mi­gungs­pflich­tig, wenn sich die zu pflegende Person entwe­der „in einem Heim, einer Anstalt oder einer sonsti­gen Einrich­tung“ aufhält.

Der Gesetz­ge­ber hat auf die Justi­zia­bi­li­tät der freiheits­ent­zie­hen­den Maßnah­men in der Häuslich­keit im Sinne des beson­de­ren Schut­zes der Familie (Artikel 6 GG) verzich­tet. Zu den gesetz­ge­be­ri­schen Leitmo­ti­ven hierfür zählte unter anderem, dass das Pflege­ver­hält­nis nicht desta­bi­li­siert und die Motiva­tion der pflegen­den Angehö­ri­gen nicht gefähr­det werden sollen.

Diese Grund­ent­schei­dung ist nicht unumstrit­ten. Von den Befür­wor­tern der Geneh­mi­gungs­pflicht wird vor allem angeführt, dass das Gefah­ren­po­ten­zial freiheits­ent­zie­hen­der Maßnah­men gerade bei der häusli­chen Pflege höher ist, als im statio­nä­ren Setting.

Rechts­aus­le­gung auf statio­näre Einrich­tun­gen beschränkt

Nach einer Entschei­dung des LG Hamburg sowie des AG Tempel­hof-Kreuz­berg soll auch die private Wohnung von pflege­be­dürf­ti­gen Perso­nen unter den Begriff der „sonsti­gen Einrich­tung“ fallen, wenn die Wohnver­hält­nisse dort denen einer statio­nä­ren Einrich­tung entspre­chen oder vergleich­bar gestal­tet sind. Die Wohnung also gewis­ser­ma­ßen nur noch als „Hülle“ erkenn­bar ist.

Zudem wird in diesen Entschei­dun­gen damit argumen­tiert, dass die betreute Person in der Häuslich­keit ohne die Einbe­zie­hung der jewei­li­gen Wohnsi­tua­tion in den Begriff der „sonsti­gen Einrich­tun­gen“ schlech­ter gestellt sei, als ein Heimbe­woh­ner.

Das AG Garmisch-Parten­kir­chen ist diesen Ansich­ten nun klar entge­gen getre­ten. Es wurde kein Raum für eine Geneh­mi­gungs­pflich­tig­keit für das Hochzie­hen des Bettgit­ters erkannt. Der einschlä­gige § 1906 Absatz 4 BGB ist in seiner Grund­kon­struk­tion auf den statio­nä­ren Sektor angelegt – diese gesetz­ge­be­ri­sche Entschei­dung ist bindend und bietet prinzi­pi­ell keinen Raum für eine analoge Anwen­dung auf die ambulante Pflege­si­tua­tion – so die unmiss­ver­ständ­li­che Botschaft.

So ehren­wert es erscheint, den Begriff der Einrich­tung zum Schutz der Betrof­fe­nen weit auszu­le­gen und auf alle Situa­tio­nen zu erstre­cken, in denen profes­sio­nelle Pflege tätig wird, so überschrei­tet diese Ausle­gung jedoch die binden­den gesetz­ge­be­ri­schen Vorga­ben.

Es gilt der Leitsatz: Wo kein Einrich­tungs­cha­rak­ter zu erken­nen ist, ist auch kein Spiel­raum für abwei­chende Ausle­gun­gen. Es zählt nicht zu den Aufga­ben der Richter­schaft den Willen des Gesetz­ge­bers überzu­stra­pa­zie­ren – es sei denn, es werden die entspre­chen­den legalen Grund­steine gelegt.

Wichtig: Das bedeu­tet nicht, dass die häusli­che Pflege im rechts­freien Raum statt­fin­det. Die Maßnah­men müssen auch hier mit dem recht­li­chen Werte­ka­non in Einklang stehen. Das bedeu­tet, dass zunächst ein Betreuer oder Bevoll­mäch­tig­ter für einwil­li­gungs­un­fä­hige Pflege­be­dürf­tige vorhan­den sein muss, der zwar (geneh­mi­gungs­frei) über die Maßnah­men entschei­den darf; dabei jedoch dem Wohl des Betreu­ten und der Gesamt­heit der Rechts­ord­nung verpflich­tet ist. Wenngleich keine Möglich­keit zur betreu­ungs­ge­richt­li­chen Überprü­fung der Recht­mä­ßig­keit von freiheits­be­schrän­ken­den Maßnah­men besteht, sollte sich das Handeln, bzw. Nicht­han­deln des Betreu­ers an den Vorga­ben des Straf­rechts ausrich­ten. Die Kontrolle durch andere Vertre­ter und Bezugs­per­so­nen des Pflege­be­dürf­ti­gen (Angehö­rige, Freunde) kann etwaige Versäum­nisse offen legen. Im vorlie­gen­den Fall bestand dazu jedoch kein Anlass (AG Garmisch-Parten­kir­chen vom 28. Mai 2019 – A XVII 9/18).

Tipp: Zur Vermei­dung von freiheits­ent­zie­hen­den Maßnah­men stehen zahlrei­che Möglich­kei­ten zur Verfü­gung, um den Patien­ten­schutz auch ohne Bettgit­ter zu gewäh­ren. Als Beispiel sind moderne Pflege­bet­ten zu nennen, die auf Boden­tiefe gesenkt werden können, um einen Sturz­scha­den zu minimie­ren.

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe September/Oktober 2019 der Rechts­de­pe­sche; RDG 16(5), S. 256–258.