Corona-Infektion
Die Frau beklagt, dass es keine ausrei­chen­den Schutz­maß­nah­men gegeben hätte (Symbol­bild) Bild: © Denisis­ma­gi­lov | Dreamstime.com

Die Frau arbei­tete als Pflege­rin in einem Wohnhaus für psycho­so­ziale Betreu­ung und soll dort eine Corona-Infek­tion davon­ge­tra­gen haben. Für ihre Halbtags­stelle erhielt sie 392,36 Euro monat­lich zuzüg­lich Zulagen und arbei­tete zuletzt am 28. und 29. März 2020 für jeweils 3,5 Stunden. Sie musste unter anderem Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­nern beim Essen helfen. Und das, ohne dass ihr vom Arbeit­ge­ber eine Schutz­maske zur Verfü­gung gestellt wurde. Schutz­klei­dung und Masken trafen erst am 29.03. ein – nach der Arbeits­zeit der Frau.

Keine Schutz­maß­nah­men durch Arbeit­ge­ber?

Auf Anwei­sung des Arbeit­ge­bers sollte die Frau auch mit Bewoh­ner X draußen einen Spazier­gang machen. Er litt an Demenz, hatte starke Lauften­den­zen und musste während des Spazier­gangs von der Pflege­rin am Arm gehal­ten werden. Vor dem Spazier­gang äußerte die Frau erfolg­los Beden­ken an der Anwei­sung ihres Arbeit­ge­bers. Denn schon am 27.03. habe es in dem Wohnheim nach Ansicht der Pflege­rin viele Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner gegeben, die Symptome wie Husten, Schnup­fen und hohes Fieber gehabt hätten – so auch Bewoh­ner X.

Die Frau beklagt auch, dass es keine ausrei­chen­den Schutz­maß­nah­men gegeben hätte: Es seien keine zusätz­li­chen Desin­fek­ti­ons­spen­der aufge­stellt worden, es habe keine Aushänge zu den Abstands­re­geln gegeben und Mitar­bei­tende mit Schutz­mas­ken habe sie nicht gesehen. Hinweise auf die Corona­re­geln habe es auch nicht gegeben. An dem Wochen­ende vom 27. bis 29.03. habe es keine Absperr­bänd­chen oder Eingangs­kon­trol­len vor der Einrich­tung geben.

Zudem hätten sich zahlrei­che ehren­amt­li­che Mitar­bei­tende sowie Besuche­rin­nen und Besucher zusätz­lich noch in den Räumlich­kei­ten des Wohnheims frei bewegt – auch in dem Café des Hauses. Die Frau gehe deshalb mit an Sicher­heit grenzen­der Wahrschein­lich­keit davon aus, dass sie sich dort mit dem Corona­vi­rus angesteckt hatte.

Auch zwölf Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner mit Corona-Infek­tion – drei starben

Ab dem 02.04 traten bei der Frau erste Erkäl­tungs­sym­ptome auf. Am 08.04 wurde sie erstmals positiv auf das Corona­vi­rus getes­tet. Auch zwölf der Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner des Wohnheims infizier­ten sich. Drei von ihnen starben an der Infek­tion – darun­ter auch Bewoh­ner X, mit dem die Pflege­rin einen Spazier­gang machte.

Nicht nur für ihn nahm die Infek­tion einen tragi­schen Verlauf. Die Frau wurde infolge statio­när behan­delt und musste letzt­lich in ein künst­li­ches Koma versetzt werden. Sie wurde intubiert und notbe­atmet – zusätz­lich wurde sie einige Tage an die Dialyse angeschlos­sen. Auch ihr Ehemann litt schließ­lich an einer Corona-Infek­tion.

Nach dem Kranken­haus­auf­ent­halt unter­zog sich die Frau einer Reha-Maßnahme. Auch nach ihrer Entlas­sung leidet sie noch unter Luftnot, Unkon­zen­triert­heit, dem dauer­haf­ten Verlust des Geruchs- und Geschmacks­sinns, einer Beein­träch­ti­gung des Sehver­mö­gens, ständi­gen Erschöp­fungs­zu­stän­den und Müdig­keit, Gelenk­schmer­zen und starken Schmer­zen im Lenden­wir­bel­säu­len­be­reich. Auch ihr Hörver­mö­gen hat nachge­las­sen. Zudem unter­zog sie sich einer kiefer­or­tho­pä­di­schen Maßnahme.

Die Berufs­ge­nos­sen­schaft geht davon aus, dass es sich um eine Berufs­krank­heit handelt. Auch eine behan­delnde Ärztin geht ausweis­lich einer fachli­chen Beschei­ni­gung davon aus, dass die Infek­tion der Frau am Arbeits­platz erfolgt ist.

Schadens­er­satz und Schmer­zens­geld nach Corona-Koma

Vor Gericht klagt die Frau gegen ihren Arbeit­ge­ber, der ihrer Ansicht nach keine ausrei­chen­den Maßnah­men einsetzte, um das Perso­nal und die Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner des Bereichs vor einer Corona-Infek­tion zu schüt­zen. Der Arbeit­ge­ber habe sich nicht an die Maßnah­men zum Infeke­ti­ons­schutz­ge­setz gemäß der ab dem 22.03.2020 gelten­den Corona-Schutz­ver­ord­nung des Landes Nordrhein-Westfa­len gehal­ten.

Der § 2 der Schutz­ver­ord­nung hatte demnach folgen­den Inhalt:

  • Wohnheime müssen erfor­der­li­che Maßnah­men ergrei­fen, um den Eintrag von Corona­vi­ren zu erschwe­ren, Patien­tin­nen und Patien­ten sowie Perso­nal zu schüt­zen und persön­li­che Schutz­aus­rüs­tung einzu­spa­ren.
  • Besuche in den Einrich­tun­gen sind unter­sagt. Ausnah­men sollen unter Schutz­maß­nah­men und Hygie­ne­an­wei­sun­gen zugelas­sen werden.
  • Kanti­nen, Cafete­rien oder andere öffent­lich zugäng­li­che Berei­che müssen geschlos­sen werden.
  • Öffent­li­che Veran­stal­tun­gen sind unter­sagt.

Da all das nach Ansicht der Pflege­rin nicht passiert ist, fordert sie Schmer­zens­geld sowie die Zahlung von 12.522,14 Euro. Diese Kosten seien ihr aufgrund ihrer Erkran­kung durch die notwen­di­gen Behand­lungs­maß­nah­men entstan­den. Zudem möchte sie, dass ihr alle materi­el­len sowie immate­ri­el­len Schäden ersetzt werden, die entstan­den sind und noch in Zukunft entste­hen werden. Die Streit­summe beträgt 37.522,14 Euro.

Die beklagte Einrich­tung bestrei­tet, dass die Frau auch am 27.03. in dem Wohnheim gearbei­tet habe. Die Frau habe ledig­lich am 28. und 29.03 gearbei­tet, als die Einrich­tung bereits Schutz­maß­nah­men umsetzte, die den gesetz­li­chen und behörd­li­chen Vorga­ben entspra­chen: Es seien Desin­fek­ti­ons­spen­der vorhan­den gewesen, Oberflä­chen seien regel­mä­ßig desin­fi­ziert worden, Abstands­re­geln hätten gegol­ten, ehren­amt­li­che Mitar­bei­ter seien nicht mehr einge­setzt worden, es habe ein Verbot von Besuchen gegeben und der Eingang sei kontrol­liert worden.

Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner durften nur mit einer 1‑zu-1-Beglei­tung das Wohnheim für einen Spazier­gang verlas­sen. Eine Ausstat­tung mit FFP2-Schutz­mas­ken und Schutz­klei­dung sei damals aufgrund der weltwei­ten Knapp­heit nicht vor dem 29.03. möglich gewesen. Auch dass die Frau sich in der Einrich­tung mit dem Corona­vi­rus angesteckt hatte, sei nicht klar.

Klage abgewie­sen: Unklar, wo sie sich angesteckt hat

Das Gericht hat die Klage der Frau abgewie­sen. So kann nicht mit Sicher­heit festge­stellt werden, dass die Frau sich überhaupt an ihrem Arbeits­platz mit dem Corona­vi­rus angesteckt hat. Völlig unklar sei, bei wem sie sich angesteckt haben will.

Nur bei einer Bewoh­ne­rin des Hauses stand später fest, dass sie tatsäch­lich schon mit dem Corona­vi­rus infiziert war, als die Pflege­rin gearbei­tet hatte. Dass die Kläge­rin Kontakt mit dieser Bewoh­ne­rin hatte, behaup­tet die Kläge­rin nicht. Sie behaup­tet zwar, mehrere Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner hätten an Corona-Sympto­men gelit­ten, ob diese aber auch von einer Corona-Infek­tion stammen, konnte sie nicht darle­gen. Das gilt auch für Bewoh­ner X, der Erkäl­tungs­sym­ptome hatte. Ein Zusam­men­hang dieser Symptome mit einer Corona-Infek­tion ist nach Ansicht des Gerichts aber nicht zwingend gegeben.

Letzt­lich ist auch nicht auszu­schie­ßen, dass sich die Frau außer­halb der Einrich­tung mit dem Corona­vi­rus angesteckt hatte. Sie behaup­tet zwar, sich an die Corona-Maßnah­men gehal­ten zu haben, was aller­dings nicht verifi­zier­bar ist. Somit kann auch nicht festge­stellt werden, ob dadurch eine Corona-Infek­tion auszu­schlie­ßen ist.

Auch die Ärztin, die im fachärzt­li­chen Attest von einer Anste­ckung am Arbeits­platz ausgeht, kann diese Feststel­lung nach Meinung des Gerichts nicht nachvoll­zieh­bar erklä­ren. Die Ärztin habe die Frau nicht zur fragli­chen Zeit beglei­tet. Ohnehin sei eine sichere Aussage über die Infek­ti­ons­ur­sa­che nicht eindeu­tig zu treffen, da Viren nicht sicht­bar sind.

Eine Unter­su­chung aller Kontakte der Kläge­rin auf eine Corona-Infek­tion könnte die Aussage der Ärztin recht­fer­ti­gen, ist dem Attest aller­dings nicht zu entneh­men. Es steht somit nicht zweifels­frei fest, wo, wann und bei wem sich die Kläge­rin infiziert hat. Das ist aber relevant, um eine mögli­che Haftung des Arbeit­ge­bers festzu­stel­len.

Steht also nicht fest, wann sich eine erkrankte Person bei wem genau angesteckt hat, lässt sich auch nicht feststel­len, ob und inwie­weit hierfür welche der mögli­chen Pflicht­ver­let­zun­gen des Arbeit­ge­bers für die eigene Erkran­kung ursäch­lich gewor­den ist.

Quelle: Arbeits­ge­richt Siegburg 30.03.2022 – 3 Ca 1848/21